Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid über Leistungen des SGB 2

 

Orientierungssatz

1. Rechtsmittel gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, haben keine aufschiebende Wirkung. Dazu gehört nicht ein Verwaltungsakt, der die Bewilligung von Leistungen für einen vergangenen Zeitraum aufhebt und deren Erstattung anordnet.

2. Die Regelung des § 39 Nr. 1 SGB 2 ist einschränkend auszulegen. Weil es ausschließlich um die Abwicklung einer in der Vergangenheit zu Unrecht erfolgten Leistungsgewährung geht, besteht keine Gefahr einer Schadensvergrößerung wie bei einer Leistungserbringung für die Zukunft. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dm Leistungsempfänger bis zur gerichtlichen Klärung bereits erfolgte Zahlungen nicht vorerst belassen werden können.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 29.11.2007 wird geändert. Es wird festgestellt, dass die am 01.10.2007 erhobene Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Antragsgegnerin vom 21.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2007 aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für beide Rechtszüge.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 02.01.2008 nicht abgeholfen hat, ist zulässig und begründet.

1. Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, der Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Sofern zwischen den Beteiligten streitig ist, ob ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss aussprechen, dass die Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung haben (deklaratorischer Beschluss; vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86 b RdNr. 15 mN zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)).

a) Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist als solcher Antrag zu qualifizieren. Denn mit Bescheid vom 21.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2007 hob die Antragsgegnerin ihre bisherige Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 31.03.2006 - und damit für die Vergangenheit - in der dort genannten Höhe auf. Die Beteiligten streiten darüber, ob die hiergegen erhobene Anfechtungsklage der Antragstellerin vor dem SG Köln (S 28 AS 213/07) aufschiebende Wirkung hat.

b) Die Anfechtungsklage der Antragsstellerin gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Antragsgegnerin vom 21.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2007 hat aufschiebende Wirkung. Dies hat der Senat durch (deklaratorischen) Beschluss festgestellt.

Gemäß § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG (die Tatbestände der anderen Nummern der § 86a Abs. 2 SGG liegen ersichtlich nicht vor) entfällt die aufschiebende Wirkung in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.

Ein Verwaltungsakt, der die Bewilligung von Leistungen ausschließlich für einen (zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses) vergangenen Zeitraum ganz oder teilweise aufhebt und die Erstattung entsprechender Leistungen anordnet, ist nach der Rechtsauffassung des Senats kein Verwaltungsakt, der gemäß § 39 Nr. 1 SGB II über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet. Dieses Ergebnis folgt aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung, ferner aus systematischen Erwägungen.

aa) Der Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGB II ist weit formuliert. Er erfasst jeden Verwaltungsakt, der "über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet". Dies schließt es somit nicht aus, auch Aufhebungs- und Erstattungsbescheide in den Anwendungsbereich des § 39 Nr. 1 SGB II einzubeziehen. Zwar mag die Entscheidung über einen Rückforderungsanspruch eine der Leistungsbewilligung nachgehende selbständige Folgeentscheidung nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sein (so OVG Bremen, Beschluss vom 14.05.2007, S 2 B 365/06, Juris m.w.N.). Dieser eher rechtstheoretischen Unterscheidung steht es jedoch nicht entgegen, auch Aufhebungs- und Erstattungsbescheide als "Leistungsentscheidungen" im Sinne des § 39 Nr. 1 SGB II anzusehen.

bb) Aus den Gesetzgebungsmaterialien sind keine Erkenntnisse zu gewinnen. Denn diese erschöpfen sich in der bloßen Wiedergabe des Wortlautes des § 39 SGB II (vgl. BT-Drucksache 15/1516, S. 63).

cc) Der weit gefasste Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGB II bedarf jedoch einer teleolog...

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