Entscheidungsstichwort (Thema)
Eilverfahren, Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Beendigung der studentischen Krankenversicherung, Feststellung der freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Festsetzung des Beitrags und Zusatzbeitrags. Überschreiten der Altersgrenze. Hinderungsgründe. Studium im Zweiten Bildungsweg
Leitsatz (redaktionell)
1. Für den Fall, dass der den ursprünglichen Bescheid ändernde Bescheid bereits vor Erhebung des Widerspruchs ergeht, ist § 86 SGG entsprechend anzuwenden.
2. Ein Überschreiten der Altersgrenze des § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 1 SGB V kann nur durch solche Hinderungsgründe i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbsatz 2 SGB V gerechtfertigt sein, die vor Erreichen dieser Grenze vorgelegen haben.
3. Dabei kommen als Hinderungsgründe nur Sachverhalte in Betracht, die sich in der Zeit zwischen dem regelmäßigen Erwerb einer Studienzugangsberechtigung durch den Betroffenen im Alter von etwa 17 bis 19 Jahren einerseits und der Vollendung des 30. Lebensjahres andererseits ereignen.
4. Wer die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium im Zweiten Bildungsweg erst noch erwerben muss, ist zwar am Studium gehindert; darin liegt aber allein noch kein Hinderungsgrund i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 9 HS 2 SGB V, vielmehr besteht bei diesem Personenkreis nach Überschreiten der Altersgrenze Versicherungspflicht in der KVdS nur dann, wenn in der Zeit zwischen etwa der Vollendung des 20. Lebensjahres und dem Beginn des Zweiten Bildungswegs sowie zwischen dem Abitur im Zweiten Bildungsweg und dem Studienbeginn im Wesentlichen durchgehend Hinderungsgründe vorgelegen haben.
Normenkette
SGG §§ 83, 86, 86a Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 114 Abs. 2; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 9, § 236 Abs. 1 S. 1; § 240 Abs. 4 S. 1; BAföG § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 7. Juni 2023 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2023 und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2022 werden angeordnet, soweit die Antragsgegnerin vom Antragsteller die Zahlung höherer Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung verlangt, als sie in der studentischen Krankenversicherung anfielen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs bzw. seiner Klage gegen Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin - ausgehend von der Annahme der Beendigung seiner Versicherungspflicht in der studentischen Krankenversicherung (KVdS) mit Ablauf des 31. August 2022 - von ihm Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung fordert, die höher sind, als sie bei Mitgliedschaft in der KVdS zu zahlen wären.
Der am 00.00.0000 in Venezuela geborene Antragsteller schloss dort 2009 die Schule ab. Ein im Wintersemester 2011/2012 aufgenommenes Studium des Fachingenieurswesens brach er 2013 ab. Nach seiner Einreise in Deutschland im Jahr 2015 besuchte er vom 20. Juni 2015 bis zum 8. April 2016 den Sprachkurs "bis Deutsch B2" der N. in V. und vom 5. September 2017 bis zum 15. Dezember 2017 den Konversationskurs "Sprechen Sie mit! B2" in der Internationalen Begegnungsstadt der Stadt V.. Vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2018 war er an der Technischen Hochschule (TH) Ü. im Studiengang I. mit dem Ziel der (externen) Feststellungsprüfung immatrikuliert. Da er auch die Wiederholung der Feststellungsprüfung nicht bestand, wurde er mit Schreiben vom 29. Juni 2018 exmatrikuliert. Mit Bescheid vom 28. März 2018 bescheinigte ihm die Bezirksregierung Ü., dass sein venezolanischer Schulabschluss einen dem mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife) gleichwertigen Bildungsstand entspreche. Vom 29. August 2018 bis zum 20. Dezember 2021 besuchte der Antragsteller das Abendgymnasium des Weiterbildungskollegs V., das er mit dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife abschloss. Seit dem 1. März 2022 studiert er an der Hochschule V.-D. im Studiengang Bachelor of Science Betriebswirtschaft.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2022 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Antragsteller seit dem 1. April 2022 bei ihr im Tarif für Studierende versichert sei, und setzte, zugleich im Namen der C.-Pflegeversicherung, einen monatlichen Beitrag von insgesamt 111,44 Euro fest, zusammengesetzt aus 76,85 Euro für die Krankenversicherung, 9,02 Euro Zusatzbeitrag und 25,57 Euro für die Pflegeversicherung. Für die Monat April bis August 2022 seien 557,20 Euro, für die Zeit von September 2022 bis Februar 2023 668,64 Euro zu zahlen.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2022, versehen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, seine studentische Krankenversicherung ende wegen Vollendung des 30. Lebensjahres mit dem Ende des Semesters...