Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Orientierungssatz
1. Die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussichten bestehen dann, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsschilderung und den vorhandenen Unterlagen zumindest für vertretbar erachtet und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung für möglich hält. Dies ist zu bejahen, wenn von Amts wegen weitere Ermittlungen gemäß § 103 SGG durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können. Ist die Rechtsauffassung des Antragstellers vertretbar, so ist PKH zu gewähren.
2. Dabei kommt dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 117 SGG eine entscheidende Bedeutung zu, u. a. dann, wenn die Aussage eines benannten Zeugen streitentscheidende Bedeutung haben kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 12.07.2011 geändert. Der Klägerin wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens Prozesskostenhilfe ab dem 09.06.2011 bewilligt und Rechtsanwältin Q aus T beigeordnet.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Münster vom 12.07.2011 ist zulässig und begründet. Das SG hat ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Klägerin ist nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen. Die Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Erfolgsaussichten in diesem Sinn bestehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen zumindest für vertretbar erachtet und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung für möglich hält. Dabei muss die Chance, den Prozess zu gewinnen, mindestens genauso groß sein, wie die, ihn zu verlieren. Dies ist grundsätzlich zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen gemäß § 103 SGG durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), NJW 1991, 413 ff; BVerfG, NJW-RR 2002, 665 ff; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 29.06.2009, Az.: L 20 B 6/09 AS; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 73a, Rn. 7 ff; Düring in: Jansen, Kommentar zum SGG, 3. Auflage 2009, § 73a Rn. 12 m.w.N). Dabei ist eine schwierige Rechtsfrage nicht im Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu klären, sondern erst abschließend im Hauptsacheverfahren zu entscheiden (BverfG, Entscheidung vom 05.02.2003, Az.: 1 BvL 1526/02, FamRZ 2003, 833; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.aO., § 73 ab, Rn. 7 b m.w.N.); ist die Rechtsauffassung des Antragstellers vertretbar, ist daher Prozesskostenhilfe zu gewähren (Littmann in: Lüdtke, Kommentar zum SGG, 3. Auflage 2009, § 73a, Rn. 13 m.w.N.).
Gemessen hieran sind die Erfolgsaussichten im vorliegenden Verfahren nicht zu verneinen. Der Klage kann unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gemäß § 117 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht von vornherein die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Im Zusammenhang mit den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wird das Sozialgericht zu klären haben, ob sich die Klägerin wie von ihr vorgetragen nach Erhalt des Bescheides vom 03.06.2009 an die von ihr als Zeugin benannte für den Beklagten tätige Frau M. gewandt hat, diese ihr das Schreiben in Gebärdensprache erläutert und ihr dann mitgeteilt hat, dass nach Rücksprache mit dem Beklagten die Angelegenheit aufklärt und die Sache erledigt sei.
Außergerichtliche Kosten sind im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Fundstellen