Entscheidungsstichwort (Thema)
Rectsanwaltsgebühren bei zwei Verfahren in derselben Angelegenheit
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Eine zweite Gebührenforderung muss auch dann abgelehnt werden, wenn der Rechtsanwalt vorher eine höhere Gebühr hätte fordern können.
2. Nur eine Angelegenheit liegt auch vor, wenn der Rechtsanwalt mit mehreren zeitgleich bei Gericht angebrachten Verfahren im Wesentlichen gleichlautende Klagen einreicht.
Normenkette
RVG § 1 Abs. 3, § 15 Abs. 2, §§ 16-17, 33 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 8 S. 2, § 55 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 2; VV RVG Nr. 1008; SGB II § 40 Abs. 2 Nr. 3; SGB III § 330 Abs. 3 S. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 3-4
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.11.2021 wird geändert. Die dem Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf 128,52 EUR festgesetzt.
Eine Kostenerstattung für das Beschwerdeverfahren findet nicht statt.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig. Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 56 Abs. 2 und § 33 Abs. 3 und 4 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) entscheidet das Landessozialgericht als das nächsthöhere Gericht über die Beschwerde gegen den aufgrund der Erinnerung des Rechtsanwalts ergangenen Beschluss des Gerichts des ersten Rechtszugs zur Kostenfestsetzung. Die Beschwerde ist zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes - so wie hier - 200 EUR übersteigt (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG). Die Regelungen des Sozialgerichtsgesetzes stehen der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen, denn mit der Neufassung des RVG zum 01.08.2013 wird nun in § 1 Abs. 3 RVG klargestellt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zu Grunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (hier: das Sozialgerichtsgesetz) vorgehen. Gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet das Gericht über die Beschwerde durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde. Gründe im Sinne von § 33 Abs. 8 S. 2 RVG für eine Übertragung auf den Senat liegen hier nicht vor.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Unecht der Erinnerung des Beschwerdegegners gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 20.07.2020 teilweise stattgegeben.
Der im Wege der Prozesskostenhilfe im Ausgangsverfahren mit dem Aktenzeichen S 55 AS 566/19 beigeordnete Beschwerdegegner kann die mit Kostenrechnung vom 25.06.2020 beantragte Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütung i.H.v. 761,60 EUR nicht mit Erfolg beanspruchen. Der Gebührenanspruch ist aufgrund von § 15 Abs. 2 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) in der seit dem 01.08. 2013 geltenden Fassung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann der Rechtsanwalt Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Die erfolgte Erstattung von Gebühren und Auslagen im Verfahren S 55 AS 6453/18 steht dem hier geltend gemachten Anspruch entgegen, weil es sich gebührenrechtlich um dieselbe Angelegenheit handelt. Allerdings hätte der Rechtsanwalt in jenem Verfahren eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG wegen mehrerer Auftraggeber beanspruchen können.
Vom Beschwerdegegner waren für drei Mandanten (Eltern und Tochter), die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II sind, mit Schriftsätzen vom 17.12.2018 drei gleichlautende Klagen beim Sozialgericht Dortmund erhoben worden. Damit haben sich die Kläger gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Jobcenters im Kreis Z für Juli 2018 gewandt, die wegen eines nachträglich bekannt gewordenen höheren Einkommens eines der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gegenüber jedem Mitglied erlassen worden waren. Für jedes Verfahren ist Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Klagen wurden durch Rücknahme in einem Erörterungstermin am 24.06.2020 erledigt.
Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 29.10.2021 zum Aktenzeichen L 2 AS 819/21 B im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 02.04.2014 zum Az. B 4 AS 27/13 R) entschieden hat, handelt es sich gebührenrechtlich um "dieselbe Angelegenheit" im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG, wenn mehrere Klagen gegen den an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bescheid über die endgültige Leistungsfestsetzung einerseits und andererseits gegen die deshalb an die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bescheide über die Erstattung von zunächst vorläufig zu hoch bewilligten Leistungen für denselben Zeitraum erhoben werden. Grundsätzlich kann nichts anderes gelten, wenn die Überzahlung wegen höherer als zunächst angerechneter Einkünfte auf nicht für vorläufig erklärte Leistungsbescheide beruht. Dazu wurde vom Senat im Beschluss vom 29.10.2021 wie folgt ausgeführt: Nach § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Ob dieselbe Angelege...