Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Bei einem rumänischen Staatsangehörigen als EU-Bürger, der vor seiner Arbeitsuche bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland ausgeübt hat, bestehen erhebliche Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2. Bei ihm muss individuell geprüft werden, ob weiterhin eine Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat besteht. Diese kann sich aus familiären Umständen und einer effektiven tatsächlichen Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraumes ergeben.
2. Sind solche Voraussetzungen gegeben, so sind dem Antragsteller aufgrund einer Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutz wegen des existenzsichernden Charakters Leistungen der Grundsicherung zu gewähren.
2.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.05.2015 abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab dem 04.05.2015 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 31.10.2015, vorläufig Regelleistungen einschließlich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter bedarfsmindernder Anrechnung von Einkommen in Höhe von 317,00 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen zu ½.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller und Beschwerdeführer ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat eine einstweilige Anordnung bezogen auf die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Form des Regelbedarfs und des Mehrbedarfs zu Unrecht abgelehnt. Die Antragsteller haben ab Eingang des Eilantrags beim Sozialgericht am 04.05.2015 unter Berücksichtigung ihrer grundrechtlichen Belange nach Folgenabwägung einen Anspruch auf einstweilige Gewährung dieser Leistungen.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich der begehrten einstweiligen Gewährung von Regelleistungen nach § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II vor.
Hinsichtlich der darüber hinaus von den Antragstellern begehrten vorläufigen Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung sind sie demgegenüber nicht gegeben.
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05, juris Rn 24 f). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05, juris Rn 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn 29a).
In diesem Verfahren vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden, ob ein Anordnungsanspruch vorliegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts spricht viel aber dafür, dass der von den Antragstellern glaubhaft gemachte grundsätzliche Leistungsanspruch gem. §§ 20 f. SGB II nicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen ist.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass sie die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Antragsteller haben dementsprechend auch bis zum 30.04.2015 vom Antragsgegner Leistungen bezogen.
Streitig ist allein, ob die Antragsteller als rumänische Staatsangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, weil sich die Antragstellerin zu 1) allein zum Zweck der Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhält. Weil sie aber glaubhaft gemacht hat, dass sie vor ihrer Arbeitsuche in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, bestehen in ihrem Fall erhebliche Zweifel an der Europarechtkonformität des Leistungsausschlusses.
Dies...