Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Orientierungssatz

1. Das Ablehnungsverfahren dient nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- oder Verfahrensfehler. Eine solche Rüge rechtfertigt allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn Gründe dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht.

2. Eine lange Verfahrensdauer begründet grundsätzlich keine Besorgnis der Befangenheit. Eine solche ist erst dann anzunehmen, wenn sich der Verfahrensablauf über lange Zeit eindeutig als eine Kette von Verzögerungen bis hin zur Untätigkeit darstellt und keine Gründe ersichtlich sind, die diesen Ablauf als vertretbar erscheinen lassen könnten.

 

Tenor

Das Gesuch des Antragstellers auf Ablehnung von Richterin X wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Das Befangenheitsgesuch des Antragstellers (AS) ist nicht begründet.

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Für die Feststellung eines solchen Grundes kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält. Andererseits begründet die subjektive Überzeugung eines AS oder seine Besorgnis, der Richter sei befangen, allein nicht die Berechtigung der Ablehnung. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Grund vorliegt, der den AS von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, der von ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (std. Rspr., vgl. u.a. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 12.07.1986 - 1 BvR 713/83, 1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85, 1 BvR 306/85, 1 BvR 497/85 -, vom 05.04.1990 - 2 BvR 413/88 - und vom 02.12.1992 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92 -; Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.03.1993 - 12 RK 45/92 -).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zur Begründung seines Befangenheitsgesuchs hat der AS im Wesentlichen vorgetragen, die abgelehnte Richterin befasse sich nicht objektiv mit der Sache; sie versäume es, seine Klage zu lesen; sie verzögere den Rechtsstreit. Dementsprechend seien ihre Entscheidungen unzutreffend.

Mit dem im Wesentlichen auf Rechtsfehler zielenden Vorbringen kann der AS im Ablehnungsverfahren nicht durchdringen. Das Ablehnungsverfahren dient nämlich nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler. Allein die unterschiedliche Auffassung von Richter und betreffendem Verfahrensbeteiligten in materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Fragen stellt ohne besondere Anhaltspunkte keinen Anlass zu einer begründeten Besorgnis der Befangenheit dar. Die Rüge von Rechts- bzw. Verfahrensverstößen kann allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.09.1994 - VIII B 64-76/94 pp - m.w.N.; Beschlüsse des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 10.04.2006 - L 10 AR 42/06 und L 10 AR 43/06 - und des Senats vom 25.11.2009 - L 11 AR 117/09 AB -, vom 20.01.2010 - L 11 AR 129/09 AB und L 11 AR 130/09 AB -, vom 17.05.2010 - L 11 SF 102/10 AB -, vom 19.07.2010 - L 11 SF 108/10 AB - und vom 30.03.2011 - L 11 SF 44/11 AB -).

Für eine derartige unsachliche Einstellung der abgelehnten Richterin oder für Willkür bestehen indes keine Anhaltspunkte; sie sind auch von dem AS nicht dargetan.

Gleiches gilt im Ergebnis für den Verdacht des AS, das gerichtliche Verfahren werde verzögert.

Eine lange Verfahrensdauer begründet grundsätzlich keine Besorgnis der Befangenheit. Zwar darf der besonnene Rechtsuchende an der Unparteilichkeit und objektiven Einstellung des Richters die Besorgnis der Befangenheit dann begründende Zweifel haben, wenn sich der Verfahrensablauf über lange Zeit eindeutig als eine Kette von Verzögerungen bis hin zur Untätigkeit darstellt und keine Gründe ersichtlich sind, die diesen Ablauf als vertretbar erscheinen lassen könnten (LSG Niedersachsen, 20.09.1994 - S 23 V 182/90 - und - L 9 S (V) 153/94 -; LSG NRW, Beschlüsse vom 27.06.2000 - L 10 AR 22/07 -, Beschlüsse des Senats vom 07.05.2008 - L ...

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