Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger bei nicht nachgewiesenen Bewerbungsbemühungen

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 ist auch auf Unionsbürger anwendbar, die sich ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten.

2. Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche ist in § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG konkretisiert. Danach haben Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, ein Aufenthaltsrecht bis zu sechs Monaten und darüber hinaus, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin arbeitsuchend sind und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Dazu ist der Nachweis ernsthafter Bewerbungsbemühungen sowie einer begründeten Erfolgsaussicht erforderlich (Anschluss EuGH Urteil vom 11. 11. 2014, C-333/13).

3. Bei der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 handelt es sich um eine anspruchvernichtende Einwendung des Grundsicherungsträgers. Sie gilt uneingeschränkt im Rahmen der Abgrenzung zur Vorschrift des § 21 SGB 12. Das SGB 2 hat Gültigkeit für erwerbsfähige Personen; das SGB 12 hingegen für solche Hilfebedürftige, die einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen können.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 2, § 7a; SGB XII §§ 21, 23 Abs. 3 S. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1a, § 11 Abs. 1 S. 1; AufenthaltsG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.07.2015 geändert. Der Antrag der Antragstellerinnen auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.07.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Der Antrag der Antragstellerinnen, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Im Rahmen eines Verfahrens auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehren die Antragstellerinnen die Übernahme von Mietschulden und die Gewährung von Leistungen zur Deckung ihrer laufenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung.

Die 1988 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre am 00.00.2014 geborene Tochter, die Antragstellerin zu 2), sind italienische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) beendete im Juni 2007 eine einjährige, in Italien absolvierte Ausbildung zur Friseurin und war in der Folge unregelmäßig als Aushilfe in verschiedenen Berufsfeldern beschäftigt. Im Jahr 2011 reiste sie erstmals in die Bundesrepublik ein und ging von September 2011 bis Februar 2012 einer Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft nach. Danach kehrte sie nach Italien zurück.

Nicht vor 2013 reiste sie erneut in die Bundesrepublik ein. Die Antragstellerin zu 1) wurde schließlich wohnungslos. Ab 01.08.2014 mietete sie ein Apartment bei dem interkulturellen Zentrum I in L zu einer Warmmiete von insgesamt 395,00 EUR monatlich an. Ihrer Mietzahlungsverpflichtung ist sie seitdem nicht nachgekommen. Es ist ein entsprechender Rückstand aufgelaufen. Eine Räumungsklage ist der Antragstellerin zu 1) zugestellt.

Im Juli 2014 beantragte die zu dem Zeitpunkt bereits schwangere Antragstellerin zu 1) bei dem Antragsgegner erstmals Leistungen nach dem SGB II, die ihr versagt wurden. Auch ein Weiterbewilligungsantrag aus Dezember 2014 wurde negativ beschieden. Hinsichtlich der ablehnenden Entscheidungen sind Klageverfahren bei dem Sozialgericht Köln anhängig.

Der Antragsgegner wurde hierzu parallel im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes u.a. verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig ab dem 26.02.2015 bis längstens 26.08.2015 Regelleistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren (LSG NRW, Beschluss vom 24.04.2015, L 19 AS 539/15 B ER). Die Verpflichtung erfolgte aufgrund einer Folgenabwägung, weil nach Ansicht des 19. Senats ein Obsiegen der Antragstellerinnen in der Hauptsache offen sei. Es könne nicht abschließend geklärt werden, ob die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Falle der Antragstellerinnen einschlägig sei. Zwar müsse nach summarischer Prüfung davon ausgegangen werden, dass den Antragstellerinnen ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik nicht zustünde. Insbesondere könnten sie sich nicht auf das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zur Arbeitsplatzsuche berufen, da die Antragstellerin zu 1) weder ernsthafte Bewerbungsbemühungen dargestellt habe, noch eine begründete Erfolgsaussicht bei einer möglichen Arbeitssuche anzunehmen sei. Die Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei jedoch nicht auf solche Personen anwendbar, die gänzlich ohne materielles Aufenthaltsrecht handelten. Sie beziehe sich nur auf solche, deren Recht zum Aufenthalt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableite. Ein Erst-Recht-Schluss sei nicht zulässig. Selbst wenn angenommen werde, dass die Antragstellerin zu 1) ein Aufenthaltsrecht z...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge