Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Prozesskostenhilfeverfahren. Festsetzung. verfahrensrechtswidrige Entscheidung. Bindungswirkung der rechtskräftigen Feststellung der Rechtsanwaltsgebühren unabhängig von materiell-rechtlicher Richtigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Hinsichtlich der Gebühren und Auslagen, die einem Rechtsanwalt im sozialgerichtlichen Verfahren nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe entstanden sind, sind die Festsetzung der Anwaltsvergütung aus der Staatskasse (§ 55 RVG), die Geltendmachung des auf die Staatskasse übergegangenen Anspruchs eines Beteiligten gegen einen anderen Beteiligten (§ 59 RVG) und die gerichtliche Festsetzung der unter den Beteiligten zu erstattenden Anwaltskosten (§§ 197, 193 SGG) zu unterscheiden (vgl LSG Erfurt vom 10.4.2014 - L 6 SF 193/14 B).
2. Haben Urkundsbeamter der Geschäftsstelle und auf Erinnerung eines Prozessbeteiligten das Sozialgericht statt eines Verfahrens nach § 59 RVG irrtümlich ein Verfahren nach §§ 55 ff RVG angenommen und die im Rahmen von Prozesskostenhilfe zu zahlende Anwaltsvergütung festgesetzt, und hat der an diesem Verfahren beteiligte Vertreter der Staatskasse gegen die Festsetzung des Sozialgerichts keine Beschwerde erhoben, so bindet ihn die rechtskräftige Festsetzung unabhängig von ihrer materiell-rechtlichen Richtigkeit. Er kann nicht durch spätere Erinnerung eine gegenläufige Entscheidung nach § 56 RVG mit der Begründung erstreiten, er sei am Verfahren nach § 59 RVG nicht beteiligt gewesen (Letzteres ist durch die irrtümliche Entscheidung nach §§ 55, 56 RVG gar nicht zum Abschluss gekommen).
Orientierungssatz
1. Sind die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren durch sozialgerichtlichen Beschluss festgesetzt worden und ist Beschwerde dagegen nicht fristgerecht dagegen eingelegt worden, so sind die Beteiligten an die Höhe der festgesetzten Gebühren gebunden.
2. Dies gilt auch dann, wenn sie nach den Bestimmungen des RVG nicht als rechtmäßig festgesetzt anzusehen sind.
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 27.10.2016 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der im Rahmen der Prozesskostenhilfe festzusetzenden Gebühren und Auslagen des Beschwerdegegners.
Im zugrundliegenden Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Aachen (S 20 SO 98/12 ER) hatte ausweislich von Telefonvermerken des Kammervorsitzenden der Beschwerdegegner dem Kammervorsitzenden am 14.04.2012 telefonisch die besondere Eilbedürftigkeit für die Antragstellerin näher dargelegt. Der Kammervorsitzende hatte daraufhin am selben Tag bei der Antragsgegnerin angefragt; diese hatte nach weiterer Prüfung ebenfalls am 14.04.2012 mitgeteilt, sie gehe nunmehr - anders als zuvor - doch von ihrer örtlichen Zuständigkeit aus, habe aber hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs Bedenken und beantrage eine Zurückweisung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz. Daraufhin verpflichtete das Sozialgericht mit Beschluss vom gleichen Tage die Antragsgegnerin entsprechend dem Antrag der Antragstellerin und gab der Antragsgegnerin die "Kosten des Verfahrens" auf. Mit Beschluss vom 14.05.2012 bewilligte es der Antragstellerin die bereits mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ebenfalls beantragte Prozesskostenhilfe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 23.12.2015 beantragte der Beschwerdegegner die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 856,80 EUR. Darin enthalten waren u.a. eine Terminsgebühr nach VV 3106 RVG i.H.v. 380,00 EUR zzgl. 19 % Umsatzsteuer (72,20 EUR). Die vom Sozialgericht angehörte Antragsgegnerin widersprach der beantragten Vergütungsfestsetzung insoweit, als dass eine Terminsgebühr im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht anfalle. Der Beschwerdeführer sah hingegen die Terminsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG zu Anlage 1 RVT - Teil 3 als entstanden an.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hörte unter dem 13.01.2016 die Antragsgegnerin wegen eines Übergangs des Kostentragungsanspruchs des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin auf die Landeskasse (§ 59 RVG) an; sie wies darauf hin, dass allein der beigeordnete Anwalt oder der Vertreter der Landeskasse nach § 56 RVG erinnerungsberechtigt seien, weshalb die Antragsgegnerin etwaige Einwände gegen die Kostenforderung äußern möge. Die Antragsgegnerin teilte daraufhin mit, sie halte eine Terminsgebühr für nicht angefallen.
Am 23.05.2016 setzte der Urkundsbeamte nach Anhörung der Antragsgegnerin die an den Beschwerdegegner zu zahlenden Gebühren und Auslagen (antragsgemäß) auf 856,80 EUR fest. Der Antragstellerin sei Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Eine Terminsgebühr sei entstanden, weil richterliche Telefongespräche mit beiden Seiten stat...