Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für einen arbeitsuchenden Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 für arbeitsuchende Unionsbürger mit unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist, ist weiterhin ungeklärt. Insbesondere ist die Frage offen, ob ein Unionsbürger mit einem materiellen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche als Arbeitnehmer oder als nichterwerbstätiger Unionsbürger i. S. der Richtlinie 2004/38 EG zu qualifizieren ist.
2. Darüber hinaus ist umstritten, ob das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) die Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 im Falle eines Unionsbürgers ausschließt. Ein italienischer Staatsangehöriger unterfällt dem EFA, weil Italien dieses Abkommen ratifiziert hat. Die Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 19. 12. 2011 ist umstritten.
3. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 mit unionsrechtlichen Vorschriften und Verfassungsrecht ist wegen des existenzsichernden Charakters der Grundsicherungsleistungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen regelmäßig zu Gunsten des Antragstellers aus.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 30.03.2015 geändert. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 16.03.2015 bis zum 31.03.2015 den Regelbedarf für Partner nach § 20 Abs. 4 SGB II einschließlich der Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 7 SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin U aus L beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind italienische Staatsangehörige. Sie leben seit dem 04.07.2014 zusammen.
Der 1960 geborene Antragsteller bezieht eine große Witwenrente i.H.v. 279,58 EUR. Die 1970 geborene Antragstellerin zu 2) reiste am 27.02.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie betrieb im Sommer 2014 eine Pizzeria.
Zum 01.02.2015 zogen die Antragsteller nach L um. Durch Bescheid vom 02.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2015 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller zu 1) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. insgesamt 492,86 EUR mtl. für die Zeit vom 01.02.2015 bis zum 31.01.2016. Auf den Regelbedarf von 360,00 EUR rechnete er ein Einkommen i.H.v. 248,65 EUR an. Hiergegen haben die Antragsteller am 20.04.2015 Klage, S 36 AS 1380/15, erhoben.
Am 16.03.2015 haben die Antragsteller beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Mehrbedarfe für zwei Erwachsene in Bedarfsgemeinschaft zu gewähren. Durch Beschluss vom 30.03.2015 hat das Sozialgericht Köln den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Gegen den am 10.04.2015 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 20.04.2015 Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch beide Antragsteller zum 01.04.2015 hat der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 11.05.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. insgesamt 733,50 EUR mtl. für die Zeit vom 01.04.2015 bis zum 31.01.2016 bewilligt. Daraufhin haben die Antragsteller mit Schriftsatz vom 30.05.2015 erklärt, die Beschwerde für den Zeitraum von der Rechtshängigkeit des Eilverfahrens bis zum 31.03.2015 werde aufrechterhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Köln S 40 AS 4276/14 ER und S 36 AS 1380/15 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur noch der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung betreffend die Gewährung von Regelbedarfen nach § 20 Abs. 4 SGB II einschließlich der Mehrbedarfe für die Zeit vom 16.03.2015 bis zum 31.03.2015. Die Antragssteller haben die Beschwerde betreffend den Zeitraum ab dem 01.04.2015 nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 11.05.2015 einseitig für erledigt erklärt und damit zurückgenommen.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend die Regelbedarfe für den streitbefangenen Zeitraum zu Unrecht abgelehnt.
A. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen ein...