Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlungspflicht des Grundsicherungsträgers bei geltend gemachtem Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung
Orientierungssatz
1. Die Anwendung der Mehrbedarfsempfehlungen 2008 setzt die Feststellung von Amts wegen voraus, dass sich die konkrete Fallgestaltung in das Bild des typischen Regelfalls einfügt. Hierzu hat der Grundsicherungsträger bzw. das Gericht eine hinreichende Information über das Krankheitsbild und dessen speziellen Krankenkostbedarfs sicherzustellen (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/11b AS 3/07 R). Eine ärztliche Bescheinigung, die sich auf die Indikation "Diabetes mellitus" für eine kostenaufwändige Ernährung beschränkt, reicht nach dem mit den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 eingetretenen Beurteilungswandel als Entscheidungsgrundlage nicht aus.
2. Bei dem Vorliegen weiterer schwerwiegender Erkrankungen neben der eigentlichen Mehrbedarfsindikation (hier Diabetes mellitus) ist klärungsbedürftig, ob ein Verweis des Berechtigten auf eine Vollkostnahrung mit einer Energiezufuhr von ca 2.200 kcal täglich mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist, die ggf durch eine ergänzende Krankenkost iSd § 21 Abs 5 SGB II (juris: SGB 2) zu vermeiden wäre.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 21.10.2009 geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt und Rechtsanwalt Klaus H, F, beigeordnet.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1950 geborene Kläger lebt mit seiner 1953 geborenen Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Sie wohnen seit dem 01.10.2005 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Der Beklagte gewährte ihnen Arbeitslosengeld 2 (Alg 2) vom 01.10.2005 bis zum 30.09.2010. Seit dem 01.10.2010 besteht keine Leistungsberechtigung mehr nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), weil der Kläger eine Altersrente für Schwerbehinderte und seine Ehefrau eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Aufgrund ärztlicher Bescheinigungen des Allgemeinarztes Dr. X vom 07.06.2005 (Kläger) und 06.06.2005 (Ehefrau), wonach diese wegen einer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ IIa auf Diabeteskost angewiesen seien, gewährte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines monatlichen Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jeweils 51,13 EUR bis einschließlich März 2009.
Mit Bescheid vom 03.03.2009 bewilligte der Beklagte den Eheleuten Alg 2 von April 2009 bis September 2009 vorläufig in Höhe von 1.053,44 EUR, wobei ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung für den Kläger und seine Ehefrau nicht mehr berücksichtigt wurde. Er führte zur Begründung aus, nach neueren medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sei nicht mehr von einem erhöhten Ernährungsbedarf auszugehen. Diese Entscheidung orientiere sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Die Vorläufigkeit der Bewilligung beruhte auf der Aufnahme einer Hausmeister-Nebentätigkeit des Klägers ab 01.03.2009 mit einem monatlichen Pauschallohn von 100,00 EUR. Mit seinem Widerspruch vom 30.03.2009 machte der Kläger geltend, die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge hätten keine gesetzliche Grundlagen. Es gebe keine Urteile, die die Streichung ihres Mehrbedarfs rechtfertigten. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2009 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Hiergegen hat der Kläger am 15.07.2009 Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, ihm und seiner Ehefrau beginnend mit dem 01.04.2009 mindestens je 63,20 EUR monatlich als Mehrbedarf für kostenaufwändigere Ernährung zu zahlen.
Der Kläger macht geltend, sowohl er als auch seine Ehefrau seien an Diabetes Typ II mit einem BMI 34 erkrankt. Die formularhafte Ablehnung des bis einschließlich März 2009 geleisteten Mehrbedarfs für kostenaufwändigere Ernährung sei rechtsfehlerhaft und unzulässig, weil der Beklagte weder für seinen Leistungsfall noch für den seiner Ehefrau in Anlehnung an die Empfehlungen des Deutschen Vereins den aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen jeweils bestehenden individuellen Bedarf geprüft und infolge dessen die gebotene Sachaufklärungspflicht verletzt habe. Die Frage, ob ein Hilfebedürftiger aufgrund Erkrankung (hier Diabetes mellitus Typ IIa) einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedürfe und damit Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II habe, hänge von den individuellen Verhältnissen des Hilfebedürftigen ab (Sächsisches Landessozialgericht - LSG -, Beschluss vom 12.02.2009 - L 3 B 428/08 AS - NZB).
Der Kläger beantragt weiter,
ihm für die Anfechtungs-/Leistungsklage Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21.10.2009 den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II sei bei dem Vorliegen einer Erkrankung an Diabetes...