Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Wird nach den Vorschriften der Niederlande - als nach den Rechtsvorschriften gemäß Titel II der Grundverordnung zuständigem Mitgliedsstaat - eine Kindererziehungszeit im Sinne des Art 44 Abs 2 VO (EG) 987/2009 dadurch berücksichtigt, dass die Zeit der Kindererziehung in den Niederlanden als reine Wohnzeit eine Rentenanwartschaft begründet?

Sofern Frage 1 verneint wird:

2. Ist § 44 Abs 2 VO (EG) 987/2009 - in Fortentwicklung der Urteile des EuGH vom 23.11.2000 (Rs. C-135/99, Slg 2000, I-10409, Elsen) und vom 19.7.2012 (Rs. C-522/10, ECLI:EU:C:2012:475, Reichel-Albert) - erweiternd dahingehend auszulegen, dass der zuständige Mitgliedsstaat die Kindererziehungszeit auch dann berücksichtigen muss, wenn die erziehende Person vor und nach der Kindererziehung zwar rentenrechtliche Zeiten wegen Ausbildung oder Beschäftigung nur im System dieses Staates hat, aber unmittelbar vor oder nach der Kindererziehung Beiträge in dieses System nicht entrichtet hat?

 

Gründe

Der Senat setzt das Verfahren entsprechend § 114 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus und legt dem EuGH die im Tenor genannten Fragen nach Art 267 Satz 2 iVm Satz 1 lit a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der konsolidierten Fassung vom 7.6.2016 (ABl C 202 S 47) zur Vorabentscheidung vor.

A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

I. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

Streitig ist, ob bei der deutschen Rente der Klägerin Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung rentensteigernd zu berücksichtigen sind.

II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Die 1958 in Aachen/Deutschland geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie wohnte seit 1962 mit Unterbrechungen, von 1975 bis 2010 durchweg zunächst mit ihren Eltern und später mit ihrem deutschen Ehemann und ihren Kindern in Vaals/Provinz Limburg, einem auf dem Staatsgebiet der Niederlande liegenden Vorort von Aachen. Sie ging in Aachen zur Schule, machte anschließend dort von September 1974 bis Juli 1975 ein Vorpraktikum, das Voraussetzung für die Aufnahme in die dortige Fachschule für Sozialpädagogik war, und wurde anschließend dort vom 1.8.1975 bis zum 31.7.1978 zur Staatlich anerkannten Erzieherin ausgebildet (bestandene Abschlussprüfung am 13.6.1978). Ab dem 1.8.1978 begann sie ein einjähriges Berufspraktikum in einem Kindergarten (Anerkennungsjahr). Normalerweise findet dieses Anerkennungsjahr im Rahmen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung statt. Dies war bei der Klägerin nicht der Fall, weil nicht genügend Ausbildungsstellen vorhanden waren; deshalb leistete die Klägerin das Berufspraktikum unentgeltlich und damit rentenversicherungsfrei ab. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung zur Staatlich anerkannten Erzieherin erwarb die Klägerin vom 1.8.1979 bis 31.7.1980 die Fachhochschulreife (Fachabitur). Anschließend war die Klägerin in ihrem erlernten Beruf nicht versicherungspflichtig beschäftigt: Wegen des Wohnorts in den Niederlanden konnten ihr durch die Arbeitsverwaltung in Deutschland keine Stellen vermittelt werden. In den Niederlanden konnte sie wegen ihrer deutschen Ausbildung nicht als Erzieherin arbeiten.

Die Klägerin hat zusammen mit ihrem Ehemann, dem Beigeladenen, zwei leibliche Kinder, den am 00.00.1986 geborenen Sohn F O und die am 00.00.1989 geborene Tochter C O, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann am gemeinsamen Wohnsitz in Vaals erzogen hat. Aufgrund der Berufstätigkeit ihres Ehemanns ist der weit überwiegende Erziehungsanteil auf die Klägerin entfallen. Beide Kinder gingen durchweg, insbesondere auch von 1986 bis 1999, in Aachen zur Schule. Von September 1993 bis August 1995 betrieb die Klägerin selbständig zusammen mit einer Partnerin eine Kinderboutique in Aachen. Sie erzielte dabei ein durchschnittliches monatliches Erwerbseinkommen von 1.000 DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 24 Stunden. Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtete sie für diese Tätigkeit nicht. Von April 1999 bis Oktober 2012 ging die Klägerin in Deutschland einer geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Am 1.2.2010 verzog sie von Vaals nach Aachen. Ab Oktober 2012 war die Klägerin in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. In den Niederlanden war die Klägerin niemals berufstätig. Ihr Ehemann war vor und nach der Geburt der Kinder durchgehend in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt.

Allein auf der Grundlage ihrer Wohnzeiten in den Niederlanden vom 13.2.1975 (Vollendung des 17. Lebensjahres) bis einschließlich 1.2.2010 (34 Jahre, 11 Monate und 19 Tage) hat die Klägerin nach niederländischem Recht eine Anwartschaft auf eine niederländische Altersgrundrente (AOW) als staatliche Rentenleistung erworben.

Auf Antrag der Klägerin stellte die Beklagte als zuständiger deutscher Rentenversicherungsträger die im Versicherungsverlauf der Klägerin en...

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