Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen des SGB 2 für einen Unionsneubürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
Bei der Frage, ob ein bulgarischer Staatsangehöriger als EU-Neubürger nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von den Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen ist oder ob die Norm aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 4 EGV 883/2004 hinter diesen zurücktritt, handelt es sich um eine umstrittene Rechtsfrage, die bisher nicht einheitlich beantwortet ist. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann sie zuverlässig nicht beantwortet werden. Die Entscheidung reduziert sich daher auf eine Folgenabwägung. Diese fällt wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen der Grundsicherung zugunsten des Antragstellers aus.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 1 Nr. 3, § 20 Abs. 1 S. 1; VO (EG) 883/2004 Art. 4, 70 Abs. 1-2, 4; GG Art. 1 Abs. 1 Sätze 1-2, Art. 19 Abs. 4 S. 1; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO §§ 294, 920 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.05.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Monat April 2014 Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 43,00 EUR und für die Zeit ab 01.05.2014 monatlich in Höhe von 59,00 EUR jedoch längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das gesamte Verfahren zu 1/7.
Gründe
I. Die 1969 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie hält sich seit mehr als drei Monaten zur Arbeitssuche in Deutschland auf und verfügt über kein eigenes Einkommen und kein Vermögen. Sie lebt zusammen in Einstandsgemeinschaft mit Herrn F J. Dieser verfügt über monatliches Renteneinkommen in i.H.v. 647,19 EUR netto.
Ihren Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 10.03.2014 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 27.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2014 ab. Zwar sei die Antragstellerin als Unionsbürgerin freizügigkeitsberechtigt und dürfte sich zur Arbeitsplatzsuche in der Bundesrepublik aufhalten. Leistungen nach dem SGB II seien jedoch in einem solchen Fall gesetzlich ausgeschlossen.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin fristgerecht Klage erhoben. Diese ist bei dem Sozialgericht Düsseldorf anhängig. Ferner begehrte sie am 09.04.2014 einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz mit dem Antrag, "den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ... vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB (II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren". Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung der Sozialgerichte in Nordrhein-Westfalen seien der Antragstellerin zumindest vorläufig Leistungen zu gewähren. Den Antrag hat das Sozialgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 22.05.2014 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Es müsse von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgegangen werden. In seinem Schlussantrag zu einer parallelen Angelegenheit habe der Generalanwalt bei dem EuGH ausgeführt, dass die von dem Antragsgegner angewandte Ausschlussregelung nicht gegen Europarecht verstieße.
Gegen den ihr am 26.5.2014 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 03.06.2014 Beschwerde eingelegt. Dem Antrag sei stattzugeben, da sie sich in einer sehr schwierigen finanziellen Situation befinde.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist zum Teil begründet.
Dabei legt der Senat den Antrag der Antragstellerin vom 07.04.2014 so aus, dass dieser auf die Gewährung der vollen Regelleistung nach § 20 SGB II für Partner iHv 353,00 EUR monatlich gerichtet ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Antrags, der eine bezifferte Einschränkung nicht vornimmt. Darüber hinaus werden Leistungen zur Deckung möglicher Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht begehrt. Zwar ist der Wortlaut des Antrags insofern offen. Jedoch wird ein entsprechender Bedarf von der Antragstellerin im sonstigen Vortrag nicht thematisiert und ein diesbezüglicher Anordnungsgrund wäre auch nicht ersichtlich.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, 2 BvR 174/88). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Not...