Entscheidungsstichwort (Thema)

Angemessenheit der Wohnungsgröße bei einer Wohngemeinschaft

 

Orientierungssatz

1. Leistungen für die Unterkunft werden nach § 22 SGB 2 in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Für einen 2-Personen-Haushalt gilt eine Wohnungsgröße von 60 qm als angemessen. Die für eine Bedarfsgemeinschaft von zwei Personen angemessene Wohnungsgröße kann nicht ohne Weiteres für eine Wohngemeinschaft zugrunde gelegt werden.

2. Bei einer Wohngemeinschaft von zwei Personen ist nicht auf den fiktiven Bedarf zweier 1-Personen-Haushalte abzustellen. Bloße Wohngemeinschaften werden nämlich regelmäßig wegen der möglichen Kostenersparnis eingegangen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist deshalb zwingend der Bezug zur konkreten Wohnungssituation herzustellen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin vom 06.06.2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 12.06.2006), ist unbegründet.

Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen (Regelungs-) Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung setzt, wie vom Sozialgericht eingehend dargelegt worden ist, voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden.

Vorliegend hat der Senat bereits Zweifel am Bestehen eines Anordnungsanspruchs. Gemäß § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Da weiterhin eine Rechtsverordnung im Sinne der Ermächtigung des § 27 Nr. 1 SGB II § 27 Nr. 1 SGB II zu§ 27 Nr. 1 SGB II zur Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung fehlt (und auch nicht zu erwarten ist, vgl. BT-Drs 16/1638), ist die Angemessenheit dieser Aufwendungen - es handelt sich bei der Angemessenheit um einen unbestimmten Rechtsbegriff (siehe dazu Berlit in Lehr- und Praxiskommentar SGB II, 2005, § 22 RdNr. 23) nach den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien zu bestimmen.

Maßgebliche Kriterien für die Angemessenheit der Unterkunftskosten sind danach die Wohnfläche und das örtliche Preisniveau. Auf dieser Grundlage ist die tatsächliche Preisspanne des unteren Marktsegments am Wohnort des Hilfebedürftigen zu ermitteln (vgl. etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.2005, L 19 B 21/05 AS ER). Zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche kann grundsätzlich weiterhin auf die Werte in den landesrechtlichen Verordnungen zu § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmungen von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG)) zurückgegriffen werden. Üblicherweise und in Übereinstimmung mit dem Wohnungsbindungsrecht wird eine Wohnungsgröße von 60 qm für einen 2-Personen-Haushalt für angemessen erachtet (vgl. auch Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 22 Randnr. 43; Berlit, a.a.O. § 22 RdNr. 26). Besondere Umstände des Einzelfalles, die etwa das Vorhandensein eines weiteren Wohnraumes erforderlich machen (etwa die Notwendigkeit der Beherbergung einer Pflegeperson), sind zwar denkbar, vorliegend aber nicht hinsichtlich. Hingegen ist umstritten, ob die genannten Maßstäbe des Wohnungsbindungsrechts auch dann gelten, wenn in einer Wohnung mehrere Bedarfsgemeinschaften leben. So kann nach Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 23.03.2006, L 6 AS 96/06 AS ER; vgl. auch Beschluss vom 04.05.2006, L 6 AS 156/05 ER) die für eine Bedarfsgemeinschaft von zwei Personen angemessene Wohnungsgröße nicht ohne Weiteres für eine Wohngemeinschaft zu Grunde gelegt werden, da insoweit nicht annähernd von gleichen Lebens- und Wohnverhältnissen ausgegangen werden könne.

Hingegen hat das Sozialgericht Düsseldorf ausgeführt, die Vorgaben des Wohnungsbindungsgesetzes für anwendbar gehalten (Beschluss vom 23.05.2006, S 24 AS 81/06 ER). Eine fiktive an Besitzstandsrechten orientierte Bedarfsberechnung liefe dem Rechtscharakter der Sozialhilfe zuwider. Es beruhe auf einer höchstpersönlichen Entscheidung des Hilfebedürftigen nicht in einem Einzelhaushalt, sondern in einer Wohngemeinschaft zu leben. Die Situation von Wohngemeinschaften und Bedarfs- und Lebensgemeinschaften sei vergleichbar, da auch bei Wohngemeinschaften Kosten gegenüber einem getrennten Wohnen eingespart würden. Das Bayerische Landessozialgericht (Beschluss vom 15.08.2005, L 10 B 429/05 AS ER) hat zu einer Wohngemeinschaft von zwei Personen ausgeführt, auf den fiktiven Bedarf zweier 1-Personen-Haushalte sei nicht abzustellen. Maßgebend sei allein der tatsächliche Bedarf der von den Antragstellern frei gewählten Lebensform ...

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