Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Wege des einstweiligen Rechtschutzes - Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes

 

Orientierungssatz

1. Zur Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung durch einstweiligen Rechtschutz ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes erforderlich.

2. Grundsätzlich ist wegen der existenzsichernden Funktion von Grundsicherungsleistungen von einer besonderen Eilbedürftigkeit des Verfahrens für den Betroffenen auszugehen. Dies gilt nicht, wenn der Antragsteller nicht im gebotenen Maß bei dem Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit mitwirkt. In einem solchen Fall ist wegen fehlender Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsgrundes die Gewährung von einstweiligem Rechtschutz zu versagen.

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 22.01.2021 werden zurückgewiesen.

Kosten sind auch in den Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene und auch im übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat dem Antragsbegehren im Ergebnis zu Recht nicht entsprochen.

Das Verfahren wird nur von der Antragstellerin geführt, denn nur für sie ist von ihrem rechtskundigen Bevollmächtigten das einstweilige Rechtsschutzgesuch bei Gericht angebracht worden. Der mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Q T ist nicht Beteiligter des Rechtsstreits, denn Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) sind Individualleistungen und müssen für jeden Leistungsempfänger im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden. Dies ist hier nur in Bezug auf die Antragstellerin geschehen.

Der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig. Vorläufiger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren richtet sich nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Gemäß Abs. 1 dieser Vorschrift kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG). § 86b Abs. 2 S. 1 i.V.m. S. 2 SGG bestimmt, dass, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen kann, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Richtiger Antrag ist hier der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Das vorliegende Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass der Antragstellerin zuletzt mit Bescheid vom 17.05.2020 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 23.06.2020 bis einschließlich Juni 2021 Leistungsansprüche bewilligt wurden. Mit weiterem Bescheid vom 28.10.2020 wurde diese Leistungsbewilligung vom 01.10.2020 an wieder aufgehoben. Der gegen den Aufhebungsbescheid eingelegte Widerspruch hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Deren Anordnung kann jedoch mittels eines Antrags gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erreicht werden; in der Hauptsache wäre eine Anfechtungsklage die richtige Klageart. Damit liegt kein Fall des nur nachrangig anwendbaren § 86b Abs. 2 SGG vor, eine dennoch beantragte einstweilige Anordnung zur Aussetzung der Vollziehung ist unzulässig (siehe auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86a Rn. 8).

Ein unzulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann jedoch nach den allgemeinen Grundsätzen zur Auslegung von Verfahrensanträgen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Meistbegünstigung in der Regel in einen zulässigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung umgedeutet werden (siehe auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 9). Der so umgedeutete Antrag hat jedoch ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben (so wie hier gemäß § 39 Nr. 1 SGB II), die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die näheren Einzelheiten dieser gerichtlichen Anordnungsbefugnis sind gesetzlich nicht geregelt. Sie sind durch Auslegung zu gewinnen. Diese ergibt, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage Ergebnis einer Interessenabwägung ist. Die aufschiebende Wirkung eines solchen Rechtsbehelfs ist anzuordnen, wenn im Rahmen der Interessenabwägung dem privaten Aufschubinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gebührt. Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere die - nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu ...

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