Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Aufhebungsbescheide zu Leistungen des SGB 2 über einen vergangenen Zeitraum
Orientierungssatz
Ein Verwaltungsakt, der die Bewilligung von Leistungen ausschließlich für einen vergangenen Zeitraum aufhebt und die Erstattung entsprechender Leistungen anordnet, ist kein Verwaltungsakt, welcher nach § 39 Nr. 1 SGB 2 über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet. Widerspruch und Klage gegen einen solchen Bescheid haben daher aufschiebende Wirkung.
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.11.2007 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Anfechtungsklage der Antragsteller vom 23.09.2007 gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2007 aufschiebende Wirkung hat. Den Antragstellern wird für beide Rechtszüge Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L aus J ab Antragstellung gewährt. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge.
Gründe
Die Beschwerden der Antragsteller, denen das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 18.12.2007 nicht abgeholfen hat, sind zulässig und begründet.
1. Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, den Antragstellern vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren.
a) Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Sofern zwischen den Beteiligten streitig ist, ob ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss aussprechen, dass die Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung haben (deklaratorischer Beschluss; vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86 b RdNr. 15 m.N. zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)).
Das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller ist als solcher Antrag zu qualifizieren. Denn mit "Rücknahme- und "Erstattungsbescheid" vom 06.07.2007 hob die Antragsgegnerin ihre bisherigen (nicht näher bezeichneten) Bescheide über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherungen des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 30.6.2007 - und damit für die Vergangenheit - teilweise auf ("in Höhe von insgesamt 1.284,00 Euro"). Die Beteiligten streiten darüber, ob der hiergegen erhobene Widerspruch der Antragsteller und die ebenfalls bereits erhobene Klage vor dem SG Dortmund (S 27 AS 384/07) aufschiebende Wirkung haben.
b) Die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2007 hat aufschiebende Wirkung. Dies hat der Senat durch (deklatorischen) Beschluss festgestellt.
Gemäß § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG (die Tatbestände der anderen Nummern der § 86a Abs. 2 SGG liegen ersichtlich nicht vor) entfällt die aufschiebende Wirkung in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.
Ein Verwaltungsakt, der die Bewilligung von Leistungen ausschließlich für einen (zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses) vergangenen Zeitraum ganz oder teilweise aufhebt und die Erstattung entsprechender Leistungen anordnet, ist nach der Rechtsauffassung des Senats kein Verwaltungsakt, der gemäß § 39 Nr. 1 SGB II über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet. Dieses Ergebnis folgt aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung, ferner aus systematischen Erwägungen.
aa) Der Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGB II ist weit formuliert. Er erfasst jeden Verwaltungsakt, der "über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet". Dies schließt es somit nicht aus, auch Aufhebungs- und Erstattungsbescheide in den Anwendungsbereich des § 39 Nr. 1 SGB II einzubeziehen. Zwar mag die Entscheidung über einen Rückforderungsanspruch eine der Leistungsbewilligung nachgehende selbständige Folgeentscheidung nach dem Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sein (so OVG Bremen, Beschluss vom 14.05.2007, S 2 B 365/06, Juris m.w.N.). Dieser eher rechtstheoretischen Unterscheidung steht es jedoch nicht entgegen, auch Aufhebungs- und Erstattungsbescheide als "Leistungsentscheidungen" im Sinne des § 39 Nr. 1 SGB II anzusehen.
bb) Aus den Gesetzgebungsmaterialien sind keine Erkenntnisse zu gewinnen. Denn diese erschöpfen sich in der bloßen Wiedergabe des Wortlautes des § 39 SGB II (vgl. BT-Drucksache 15/1516, S. 63).
cc) Der weit gefasste Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGB II bedarf jedoch einer teleologischen Reduktion. Eine teleologische Reduktion einer Norm ist geboten, wenn dem erkennbaren Normzweck mit einer reinen Wortlautinterpretation nicht Rechnung get...