Entscheidungsstichwort (Thema)

Reisekosten für einen außerhalb des Gerichtsbezirkes ansässigen Rechtsanwalt bei der Abrechnung von Prozesskostenhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Beschränkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts i.S.v. § 121 Abs. 3 ZPO kann nicht auf die Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts, sondern nur auf die Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts erfolgen. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist dies der gesamte Gerichtsbezirk des zuständigen Sozialgerichts.

2. Ergibt bei einem nicht im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt ein Kostenvergleich mit im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwälten, dass Mehrkosten nicht zu besorgen wären, kann die Beiordnung des nicht im Bezirk ansässigen Rechtsanwalts nicht i.S.v. § 121 Abs. 3 ZPO beschränkt werden.

3. Für den Kostenvergleich können nicht nur Reisekosten i.S.v. § 46 RVG i.V.m. Nr. 7003 bis 7005 VV RVG herangezogen werden, sondern auch eine nach Nr. 3103 VV RVG wegen Vortätigkeit im Widerspruchsverfahren abgesenkte Verfahrensgebühr im Falle der Beiordnung eines nicht im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts.

 

Orientierungssatz

1. Ein nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann im Weg der Prozesskostenhilfe nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Damit kann der Kläger einen Prozessbevollmächtigten innerhalb des gesamten Gerichtsbezirks auswählen.

2. Ist der beigeordnete Rechtsanwalt nicht im Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts ansässig, so hat ein Kostenvergleich stattzufinden. Nur dann, wenn die Beiordnung dieses Rechtsanwalts überhaupt zu höheren Anwaltsgebühren führen würde als die Beiordnung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts, kommt eine Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts in Betracht.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.08.2010 geändert. Den Klägern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ab dem 25.06.2010 (Antragseingang) bewilligt und Rechtsanwalt H, L-Str. 0, 0000 F, ohne Einschränkung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts zu ihrer Vertretung beigeordnet.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Prozesskostenhilfe nur unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Kläger zu den Bedingungen eines "ortsansässigen" Rechtsanwalts bewilligt.

Zwar kann nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 121 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Der Gesetzeswortlaut macht allerdings deutlich, dass es insoweit nicht auf einen am Ort des Prozessgerichts (hier: Gelsenkirchen) ansässigen Rechtsanwalt ankommt. Vielmehr kann ein Kläger einen Prozessbevollmächtigten innerhalb des gesamten Gerichtsbezirks (hier: Zuständigkeitsbezirk des Sozialgerichts Gelsenkirchen) auswählen, ohne einer Einschränkung i.S.v. § 121 Abs. 3 ZPO zu unterliegen (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 570).

Ist der Rechtsanwalt, dessen Beiordnung begehrt wird, nicht im Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts ansässig (der Kanzleisitz des Bevollmächtigten der Kläger ist in Essen und damit im Bezirk des Sozialgerichts Duisburg), hat darüber hinaus ein Kostenvergleich stattzufinden (vgl. a.a.O., Rn. 570). Nur dann, wenn die Beiordnung dieses Rechtsanwalts überhaupt zu höheren Anwaltsgebühren führen würde als eine Beiordnung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts (Reisekosten nach § 46 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. Nr. 7003 bis 7005 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zum RVG), kommt eine Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen eines "ortsansässigen" - genauer: eines im Gerichtsbezirk ansässigen - Rechtsanwalts in Betracht.

Die Kläger weisen insoweit darauf hin, dass der Kanzleisitz ihres Prozessbevollmächtigten lediglich 8,4 km vom Sozialgericht Gelsenkirchen entfernt liegt. Damit aber entstehen Reisekosten nach § 46 RVG nur in einem Umfang, welcher die Reisekosten selbst der meisten im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts ansässigen Rechtsanwälte sogar unterschreiten dürfte. Es besteht bereits aus diesem Grund kein Anlass für eine Beschränkung der Beiordnung i.S.v. § 121 Abs. 3 ZPO, da die Entstehung "weiterer Kosten" im Sinne der Vorschrift nicht zu besorgen ist.

Im Übrigen weisen die Kläger zu Recht darauf hin, dass die ihrem Prozessbevollmächtigten zustehende Verfahrensgebühr wegen dessen Vortätigkeit im Widerspruchsverfahren nach Nr. 3103 VV RVG abgesenkt wird. Deshalb werden die Anwaltskosten für das gerichtliche Verfahren sogar unterhalb der Kosten liegen, die ein im vorliegenden Klageverfahren erstmals tätig werdender Rechtsanwalt geltend machen könnte (u.a. Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG). In...

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