Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingliederungshilfe. generelles Verbot der öffentlichen Ausschreibung von Eingliederungshilfeleistungen. sozialrechtliches Leistungsdreieck. Gewährleistung der Trägervielfalt. marktsteuernde Wirkung von Ausschreibungen. Nichtanwendbarkeit von EU-Vergaberecht im Recht der Eingliederungshilfe. Auslegung eines Landesrahmenvertrags. Verfassungsrecht. kommunale Selbstverwaltung. sozialgerichtliches Verfahren. Sozialrechtsweg
Orientierungssatz
1. Das Recht der Eingliederungshilfe geht in den §§ 123 ff SGB 9 2018 davon aus, dass die Erbringung von Leistungen durch Dritte im Wege des sog sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses erfolgt, und bezweckt die Gewährleistung einer Trägervielfalt.
2. Die Vergabe von Leistungen im Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens hat demgegenüber eine faktisch marktsteuernde Wirkung, die zum de-facto-Ausschluss von Anbietern führt, die im Wege der Vergabe nicht berücksichtigt worden sind. Gerade das Ziel der Vergabe, die Leistungsanbietung zu konzentrieren, dürfte mit allgemeinen sozial- und eingliederungshilferechtlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren sein.
3. Im Recht der Eingliederungshilfe sind die EU-Vergaberichtlinien nicht anzuwenden.
4. Ein Verbot der Ausschreibung von Eingliederungshilfeleistungen ergibt sich im vorliegenden Fall auch aus der Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Landesrahmenvertrags, wonach die Vereinbarungspartner davon ausgehen, dass Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen sind.
5. Das Ausschreibungsverbot verletzt nicht das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach Art 28 Abs 2 GG.
6. Stützt sich der Antragsteller auf ein aus den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs und dem Landesrahmenvertrag abzuleitendes generelles Ausschreibungsverbot für die Leistungserbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe, ist nach § 51 Abs 1 Nr 6a SGG der Sozialrechtsweg eröffnet.
7. Soweit der Vergabesenat des OLG Düsseldorf ausgeführt hat, auch die Frage, ob Vorschriften des Sozialgesetzbuchs einer Ausschreibung widersprechen und diese zu verhindern geeignet sind, sei ausnahmslos von den Vergabenachprüfungsinstanzen zu überprüfen und zu entscheiden (vgl OLG Düsseldorf vom 21.12.2016 - VII-Verg 26/16 = GuP 2017, 78), folgt der erkennende Senat dem nicht.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.12.2021 geändert.
Der Antragsgegnerin wird bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens untersagt, in dem Vergabeverfahren 2021/S-16-425172 einen Zuschlag zu erteilen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 750.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein. Er ist auf vielfältigen Gebieten der freien Wohlfahrtspflege in E tätig. Satzungsmäßige Zwecke sind u.a. die Erziehung von Kindern und Jugendlichen und deren heilpädagogische und jugendpsychiatrische Betreuung. In diesem Rahmen erbringt der Antragsteller auch Schulbegleitung ("TANDEM-Assistenzdienste"). Der Antragsteller gehört zu dem als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege anerkannten Diakonischen Werk der evangelischen Kirche im Rheinland und dadurch dem Diakonischen Werk der evangelischen Kirche in Deutschland. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin hatten gem. §§ 75 ff SGB XII eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung über Schulbegleitung getroffen, die noch gültig ist. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen, deren Mitglied das Diakonische Werk Rheinland ist, haben (u.a.) mit den kommunalen Spitzenverbänden in Nordrhein-Westfalen einen Landesrahmenvertrag iSd § 131 SGB IX über die Erbringung von Eingliederungshilfe ab dem 01.01.2020 abgeschlossen.
Die Antragsgegnerin nahm unter der Vergabenummer 2021/S-161-425172 eine Ausschreibung nach VOL/A im Wege der öffentlichen Ausschreibung vor. Ausgeschriebene Leistung ist der Einsatz von Integrationshelfern an Eer Schulen für Kinder mit Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe. Der Auftrag soll für die Schuljahre 2022/2023 und 2023/2024 erfolgen, eine Verlängerung um weitere zwei Jahre ist möglich. Die Vergabe soll vier Losen für verschiedene Schularten bzw. Behinderungsformen umfassen. Der Zuschlag soll für das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, wobei der Preis und der Faktor "Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung" gewichtet werden sollen. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, den Zuschlag im Rahmen der Ausschreibung bis Ende Januar 2022 zu erteilen.
Der Antragsteller hält die Ausschreibung für rechtswidrig. Anlässlich von in der Vergangenheit bereits durchgeführten Ausschreibungen habe sich gezeigt, dass die Antragsgegnerin nach Ausschreibung die Leistung nur noch durch die Ausschreibungsgewinner erbringen lasse. Auch wenn es aufgrund der Möglichkeit, nach Zuweisung eines persönlichen Budgets vom Leistungsberechtigten selbst beauftragt zu werden oder aufgrund...