Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung einer geminderten Regelleistung wegen einer erkennbar zu sanktionierenden Pflichtverletzung im einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Zahlungen, die der Hilfebedürftige aufgrund eines zivilrechtlichen Urteils erhält, sind als Einkommen nach § 11 SGB 2 zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der Antragstellung zu Leistungen des SGB 2 zur Schuldentilgung vorzeitig verbraucht, so hat dies keinen Einfluss auf die bestehende Hilfebedürftigkeit des Antragstellers, vgl. entgegen BSG, Urteil vom 30. September2008 - B 4 AS 29/07 R.

2. Im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter der pauschalierten Regelleistung nach § 20 SGB 2 kommt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Begrenzung der Regelleistung auf 70 % bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs grundsätzlich nicht in Betracht. Dies gilt aber nicht im Fall einer erkennbar zulässigen Absenkung des Arbeitslosengeldes 2 wegen einer nach §§ 31, 31 a SGB 2 zu sanktionierenden Pflichtverletzung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.03.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Februar 2012 in Höhe von 70,77 Euro und ab dem 01. März 2012 bis 31. August 2012 in Höhe von 70 % der Regelleistung, längstens bis einen Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, zu gewähren. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind bezüglich der Regelleistung in Höhe von 70 % glaubhaft gemacht. Der Antragsteller erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nrn. 1-4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Denn er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er ist auch erwerbsfähig gemäß § 7 Abs.1 Nr. 2 SGB II. Der Antragsteller hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II).

Der Antragsteller hat auch seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er derzeit nicht über ausreichendes Einkommen verfügt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Unter Berücksichtigung der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung und des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II geht die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers aus.

Dem Antragsteller stehen auch unter Berücksichtigung der Zahlungen, die aufgrund des Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19.07.2010 an seinen im zivilrechtlichen Verfahren Bevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt G, am 22.11.2011, 19.12.2011 und 05.01.2012 erfolgt sind, keine ausreichende Mittel zur Verfügung, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Zwar sind diese Zahlungen grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen. Durch ihren vorzeitigen Verbrauch zur Schuldentilgung war der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung jedoch hilf...

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