Entscheidungsstichwort (Thema)

Analogleistungen. Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Sozialwidriges Verhalten. Beweislast. Duldung. Freiwillige Ausreise. Passpapiere. Roma. Kosovo. Einstweilige Anordnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG genügt es nicht, dass der betroffene Ausländer nicht freiwillig aus Deutschland ausreist. Erforderlich ist ein darüber hinausgehendes sozialwidriges Verhalten. Hierfür trägt die Behörde die Beweislast.

 

Normenkette

AsylbLG §§ 2-3; SGG § 86b Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 14.09.2007 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 1 bis 4 einstweilen ab dem 30.07.2007 bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz anstelle der erbrachten Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1 bis 5 für beide Rechtszüge.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten, ob den Antragstellern Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle der gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG zustehen.

Die 1966 bzw. 1976 geborenen Antragsteller zu 1 und 2 sind die Eltern der 1996, 2000 bzw. 2002 geborenen Antragsteller zu 3 bis 5. Der Aufenthalt der Antragsteller zu 1 bis 4 wird derzeit von der Ausländerbehörde geduldet; für den Antragsteller zu 5 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 26.04.2007 wegen Erkrankung an akuter lymphoblastischer Leukämie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) fest.

Mit Bescheid vom 30.04.2007 lehnte die Antragsgegnerin die Anträge der Antragsteller vom 16.02.2007 auf Bewilligung der höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG ab. Nach erfolglosen Asyl- bzw. Asylfolgeverfahren seien die Antragsteller vollziehbar zur Ausreise aus Deutschland verpflichtet. Einer Aufforderung des Ausländeramtes, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, seien sie nicht nachgekommen. Aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Roma aus dem Kosovo sei eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung bisher nicht möglich gewesen. Die freiwillige Ausreise sei jedoch jederzeit rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar. Entsprechende Heimreisedokumente hätten durch die Ausländerbehörde ausgestellt werden können. Eine freiwillige Ausreise hätten die Antragsteller jedoch abgelehnt. Das Unterlassen der freiwilligen Ausreise sei als rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG zu bewerten. Für die weitere Tochter G (geb. 00.00.2005) sei im Übrigen im August 2005 ein Asylantrag gestellt worden, nachdem für die Mutter und die Geschwister bereits Anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden seien. Das Asylverfahren für G sei mit Bescheid vom 12.10.2005 eingestellt worden, da kein eigener Asylgrund vorgelegen habe. Bei rechtskräftiger Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet sei jedoch ebenfalls von einer rechtsmissbräuchlichen Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer auszugehen. Zusammenfassend hätten die Mitglieder der Familie der Antragsteller auf vielfache Weise und wiederholt die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Sie seien in der Vergangenheit nicht bereit gewesen, in ihr Heimatland zurückzukehren, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Bisher hätten sie keine intensiven Bemühungen erkennen lassen, bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken. Asylanträge seien als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden; Asylfolgeanträge und gerichtliche Eilanträge bzw. Klagen seien erkennbar zur bloßen Aufenthaltsverlängerung bzw. Verzögerung der angedrohten Abschiebung gestellt bzw. erhoben worden. Das gesamte Verhalten der Familie ziele darauf ab, die Ausreise rechtsmissbräuchlich hinauszuzögern. Der Gesetzgeber knüpfe die leistungsrechtliche Besserstellung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG daran, dass der Ausländer seinen Aufenthalt in Deutschland nicht zu irgendeinem Zeitpunkt rechtmissbräuchlich selbst beeinflusst habe; ein in der Vergangenheit liegendes rechtsmissbräuchliches Verhalten, durch das die Aufenthaltsdauer verlängert worden sei, schließe für die Zukunft die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG grundsätzlich dauerhaft aus. Dies gelte umso mehr, wenn das rechtsmissbräuchliche Verhalten in der Gegenwart noch andauere. Selbst wenn zwischenzeitlich ein wichtiger Grund vorliegen sollte, aufgrund dessen eine freiwillige Ausreise nicht mehr zumutbar wäre, so wäre es im Hinblick auf die zahlreichen in der Vergangenheit liegenden rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweisen sowie auf das andauernde rechtsmissbräuchliche Verhalten unvertretbar und unverhältnismäßig, dennoch Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SG...

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