Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. sofortige Vollziehbarkeit von Rücknahme-, Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden. Grenzen der Sanktion gegenüber den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft. Auswirkung der horizontalen Berechnungsmethode des § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 auf die Festlegung des Absenkungsbetrages
Orientierungssatz
1. Nach § 39 Nr 1 SGB 2 haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen des SGB 2 entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt für sämtliche Eingriffsakte der Leistungsträger des SGB 2 und erfasst auch solche, die über die Rücknahme oder Aufhebung für die Vergangenheit und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen entscheiden.
2. Die Sanktionen nach § 31 SGB 2 erfolgen auf individuelles Fehlverhalten hin und sollen nur Leistungen desjenigen betreffen, der das Fehlverhalten an den Tag gelegt hat. Fremdes Verschulden wird nicht zugerechnet. Bei einer Absenkung der Leistung für ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach § 31 SGB 2 darf deshalb der Leistungsträger nicht in Leistungsanteile der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eingreifen.
3. Bei der Hilfebedürftigkeitsprüfung der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 wird zunächst die Summe aller Einzelbedarfe dem Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenüber gestellt. Der danach nicht durch Einkommen gedeckte Gesamtbedarf wird im Verhältnis des jeweiligen Einzelbedarfes zum Gesamtbedarf auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt. Dabei erfolgt die Aufteilung nicht nach dem Anteil des eigenen ungedeckten Bedarfs am insgesamt ungedeckten Bedarf, sondern nach dem Anteil des eigenen am Gesamtbedarf, unabhängig davon, in welchem Maß der eigene oder der Gesamtbedarf durch Einkommen gedeckt ist.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.06.2008 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen auch im Beschwerdeverfahren.
Gründe
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Feststellung einer Absenkung von Leistungen nach dem SGB II bei einer unter 25-jährigen Leistungsempfängerin wegen Abbruches einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b, Abs. 5 S. 1 SGB II) ab dem 01.06.2008 streitig.
Die im K 1984 geborene Antragstellerin zu 1) lebte im streitigen Zeitraum in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer im B 2002 geborenen Tochter B1 und der im K1 2003 geborenen Tochter D. Bis einschließlich Februar 2008 lebten die Antragsteller in einer gemeinsamen Wohnung mit Herrn N ... Sie zogen zum 01.03.2008 in eine eigene Wohnung um. Mit Bescheid vom 08.01.2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 01.02.2008 und 04.03.2008 hatte die Antragsgegnerin den Antragstellern zu 1) - 3) für die Zeit ab dem 01.03.2008 bis zum 31.07.2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 946,- EUR für März, unter Berücksichtigung der veränderten Unterkunftskosten in Höhe von 843,40 EUR monatlich für den Folgezeitraum bis zum 31.07.2008 bewilligt. Hierbei hatte die Antragsgegnerin in der Zeit ab dem 01.03.2008 monatlich einen Gesamtbedarf von 1405,40 EUR, zu berücksichtigende Einkünfte der Antragstellerinnen zu 2) und 3) in Höhe von je 281,- EUR an Kindergeld und Unterhalt sowie einen Einzelanspruch der Antragstellerin zu 1) auf Leistungen nach § 20 SGB II in Höhe von 472,- EUR, Ansprüche der Antragstellerin zu 1) nach § 22 SGB II in Höhe von 172,46 EUR sowie der Antragstellerinnen zu 2) und 3) in Höhe von jeweils 99,47 EUR in Ansatz gebracht.
Aufgrund einer mit der Antragsgegnerin abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung vom 06.12.2007 sowie einer mit einer Privatschule geschlossenen Beschäftigungsvereinbarung nahm die Antragstellerin zu 1) ab dem 21.01.2008 eine Arbeitsgelegenheit wahr. Die Arbeitsgelegenheit wurde per Schreiben der Arbeitgeberin vom 24.04.2008 mit der Begründung, die Antragstellerin zu 1) habe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wiederholt verspätet abgegeben, sei deshalb abgemahnt worden und fehle seit dem 19.04.2008 unentschuldigt, fristlos gekündigt. Nach vorheriger Anhörung der Antragstellerin zu 1) stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14.05.2008 den Eintritt einer Absenkung des Arbeitslosengeldes II der Antragstellerin zu 1) für die Zeit vom 01.06.2008 bis zum 31.08.2008 auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung fest. Es ergebe sich eine Absenkung in Höhe von 472,- EUR (monatlich). Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 04.03.2008 werde insoweit aufgehoben. Mit Änderungsbescheid vom 14.05.2008 sowie weiterem Bescheid vom 17.05.2008 berücksichtigte die Antragsgegnerin die ihrer Ansicht nach eingetretene Absenkung nach § 31 SGB II ab dem 01.06.2008 sowie die ab dem 01.07.2008 erhöhten Regelsätze nach § 20 SGB II und bewilligte der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit bis zum 30.06.2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 375,40 EU...