Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Prozesskostenhilfe trotz Anhängigkeit eines Musterverfahrens
Orientierungssatz
1. Bei der Frage, ob die ab dem 01. 01. 2011 geltenden höheren Regelsätze verfassungswidrig sind, handelt es sich um eine schwierige, bisher nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage, zu deren Klärung bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen PKH zu gewähren ist.
2. Die Fragen der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze sind derart komplex, dass ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten würde. Dabei ist nicht entscheidend, dass beim BSG hierzu bereits sog. Musterverfahren anhängig sind. Ob die bei bei dem Kläger bestehende Fallkonstellation tatsächlich derjenigen der Musterverfahren entspricht, ist für den juristischen Laien schwierig. Die begehrte höchstrichterliche Beantwortung einer bestimmten Rechtsfrage im Bereich des SGB 2 wird angesichts der Vielzahl der zu klärenden Einzelvoraussetzungen auch in Musterverfahren oftmals nicht erlangt. Damit bedarf der rechtsunkundige Leistungsempfänger der Hilfe eines Anwalts. Dies hat zur Folge, dass bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen PKH zu bewilligen ist, vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. Februar 2012 - 1 BvR 1120/11.
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 25.07.2012 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren ab 01.06.2012 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T, J, bewilligt.
Kosten haben die Beteiligten einander im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren, in dem die Kläger vom Beklagten höhere Regelleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum April bis September 2011 begehren.
Die 1961 und 1964 geborenen Kläger zu 1) und 2) stehen mit ihrer 1989 geborenen Tochter, der Klägerin zu 3), bei dem Beklagten im Bezug von laufenden Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 09.11.2011 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2011 bis 30.09.2011. Einen Antrag der Kläger vom 23.02.2012 auf Überprüfung dieses Bescheides gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29.02.2012 und Widerspruchsbescheid vom 02.05.2012 ab. Hiergegen haben die Kläger am 01.06.2012 Klage beim Sozialgericht Dortmund mit dem Begehren höherer Leistungen erhoben und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Sie machen geltend, dass die ab Januar 2011 geltenden Regelsätze nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seiner Entscheidung vom 09.02.2010 entsprächen und daher verfassungswidrig seien.
Das SG hat den PKH-Antrag mit Beschluss vom 25.07.2012 abgelehnt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bestehe nicht. Die von den Klägern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfs sei nicht ersichtlich. Das Gericht vermöge unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber bei der Festlegung der Regelbedarfe zustehenden Gestaltungsspielraums hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit des ab 01.01.2011 für alleinstehende Leistungsberechtigte geltenden Regelbedarfs nicht zu erkennen.
Gegen den ihnen am 30.07.2012 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 23.08.2012 Beschwerde eingelegt und sich insbesondere auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen. Die Klage habe hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kläger führen für andere Bewilligungszeiträume weitere Klageverfahren vor dem Sozialgericht. Über die dortigen Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach dem derzeitigen Aktenstand bisher nicht entschieden worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten des Beklagten und der Akten der Verfahren S 27 AS 2206/12, S 27 AS 2207/12, S 27 AS 2209/12 und S 27 AS 3198/12 verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Zu Unrecht hat es das Sozialgericht abgelehnt, den Klägern Prozesskostenhilfe für das vorliegende Klageverfahren zu bewilligen.
Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig sowie die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§§ 73a, 121 Abs. 2 ZPO).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 07.05.1997 - 1 BvR 296/94 - NJW 1997, 2745) den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rn 7a; ständige Rspr des erkennenden Senats, z.B. Beschl...