Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für einen alleinstehenden Leistungsberechtigten des SGB 2

 

Orientierungssatz

1. Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe ist u. a. eine hinreichende Erfolgsaussicht in der Hauptsache erforderlich. Macht der Kläger geltend, dass das Gesetz, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, verfassungsmäßig sei, so sind die Erfolgsaussichten gegeben, wenn die Möglichkeit, dass das Gericht das Gesetz für verfassungswidrig hält und das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG aussetzt, nicht fernliegend ist.

2. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für alleinstehende Leistungsberechtigte ist durch die Entscheidung des BVerfG vom 20. 11. 2012 geklärt. Lag zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags diese Entscheidung mit den vollständigen Entscheidungsgründen vor, so ist, wenn allein die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für Alleinstehende streitentscheidend ist, die Bewilligung von PKH zu versagen vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2012 - 1 BvR 2203/12.

3. Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist aus der individuellen Sicht des unbemittelten Rechtsuchenden zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags zu prüfen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.02.2012 geändert. Dem Kläger wird für die Zeit ab 22.09.2011 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N , S Iserlohn, bewilligt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

In der Hauptsache begehrt der Kläger höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.06.2011 bis zum 30.11.2011.

Der 1955 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen nach dem SGB II. Für die Zeit vom 01.06.2011 bis zum 30.11.2011 bewilligte der Beklagte ihm monatliche Leistungen unter Berücksichtigung des in diesem Zeitraum geltenden monatlichen Regelbedarfs in Höhe von 372,00 Euro - davon 8 Euro Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung - (Bescheid 10.05.2011).

Den mit der Begründung, die Neuregelung der Regelbedarfe ab 01.01.2011 sei verfassungswidrig, eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 21.07.2011 zurück. Die Festlegung der Regelbedarfe entspreche den gesetzlichen Vorgaben.

Der Kläger hat am 02.08.2011 Klage erhoben. Er wendet sich gegen die Höhe der Regelbedarfe. Die Ermittlung der Regelbedarfe sei mit einer Vielzahl von Fehlern behaftet, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widersprächen. Deshalb sei die Höhe verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt worden.

Das Sozialgericht Dortmund hat den zeitgleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts (die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ging am 22.09.2011 ein) mit Beschluss vom 23.02.2012 abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Zur Begründung hat sich das Sozialgericht im Wesentlichen der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 21.10.2011 L 12 AS 3445/11 B angeschlossen.

Gegen den am 05.03.2012 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 26.03.2012 Beschwerde eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf PKH (hierzu 1) und Beiordnung eines Rechtsanwalts (hierzu 2).

1) Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73a Rz. 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 73a Rz. 7). Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Ein Gericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im PKH-Verfahren "durchentschieden" werden können, verkennt die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG vom 14.06.200...

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