Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bei zuvor erklärtem Einverständnis. Nichtberücksichtigung eines noch vor Herausgabe der Entscheidung durch die Geschäftsstelle eingegangenen Schriftsatzes. mögliche Unwirksamkeit der Einverständniserklärung bei wesentlicher Änderung der Prozesslage
Leitsatz (amtlich)
Zur Begründetheit einer Nichtzulassungsbeschwerde bei Nichtberücksichtigung eines Schriftsatzes durch das Sozialgericht vor Herausgabe der Entscheidung durch die Geschäftsstelle und zuvor erklärter Einverständniserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Orientierungssatz
Eine wesentliche Änderung der Prozesslage kann die Unwirksamkeit der Einverständniserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach sich ziehen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 17.02.2016 zugelassen. Das Beschwerdeverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgen der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, S-straße 00, Q beigeordnet.
Gründe
Die am 15.03.2016 eingegangene Beschwerde des Klägers vom 12.03.2016 gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 17.02.2016, dem Kläger zugestellt am 04.03.2016, ist zulässig und gemäß § 145 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) begründet. Der durch den Kläger in seiner Beschwerdeschrift gerügte Verfahrensmangel i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt vor.
1. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG erfüllt sind. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Zu Recht hat der Kläger gerügt, dass das Sozialgericht den Inhalt seines Schriftsatzes vom 17.02.2016 nicht gewürdigt hat. In diesem Schriftsatz stellte der Kläger unter Einbeziehung eines dem Sozialgericht bislang unbekannten Bescheides vom 27.01.2016 und eines Widerspruchsbescheides vom 11.02.2016 weitere Klageanträge, über die das Sozialgericht in dem angegriffenen Urteil keine Entscheidung getroffen hat. Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts, es sei unerheblich, dass der Kläger in seinem Schriftsatz vom 17.02.2016 seine Klage um einen weiteren Bewilligungszeitraum erweitert hat, hätte es den Inhalt dieses Schriftsatzes nicht übergehen dürfen. Denn bei einem Urteil ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG sind alle Schriftsätze zu berücksichtigen, die bis zur Herausgabe der Entscheidung durch die Geschäftsstelle, dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Urteils, eingehen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 124 Rn. 4b m.w.N.). Dies ist hier geschehen. Denn die Entscheidung ist hier zwar am 17.02.2016 und damit vor dem Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 17.02.2016 bei dem Sozialgericht am 22.02.2016 getroffen worden, herausgegeben durch die Geschäftsstelle wurde sie indessen erst am 02.03.2016. Da der Schriftsatz des Klägers damit zwischen der Beratung und dem Wirksamwerden der Entscheidung eingegangen ist, hätte er rechtlich gewürdigt werden müssen (zu der Frage, ob über die Erheblichkeit eines neuen Schriftsatzes zwischen Beratung und Wirksamwerden der Entscheidung in derselben Besetzung der Kammer entschieden werden muss, Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 124 Rn. 4b m.w.N.). Damit liegt ein von dem Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 3 vor.
Zu Recht hat der Kläger darüber hinaus gerügt, dass das Sozialgericht entgegen seinem mit Schreiben vom 17.02.2016 erklärten Widerruf seiner am 16.12.2015 im Rahmen des Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärten Einverständniserklärung trotzdem am 17.02.2016 eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG getroffen hat. Zwar ist ein solcher Widerruf grundsätzlich nur bis zu dem Zeitpunkt möglich, bis die Erklärungen der übrigen Beteiligten bei Gericht eingegangen sind (siehe Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 124 Rn. 3d m.w.N.). Hier haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte im Erörterungstermin vom 16.12.2015 wirksam ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Nach diesem Zeitpunkt war ein Widerruf daher grundsätzlich nicht mehr möglich. Indessen liegt hier eine wesentliche Änderung der Prozesslage vor, die die Unwirksamkeit der Einverständniserklärung ohne weiteres nach sich ziehen kann (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 124 Rn. 3e). Denn durch den Schriftsatz des Klägers vom 17.02.2016 hat sich die Tatsachen- und Rechtsgrundlage - wie bereits ausgeführt - insoweit geändert, als da...