Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der zulässigen Abänderung bzw. Ersetzung eines Verwaltungsaktes - Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

 

Orientierungssatz

1. Die Abänderung bzw. Ersetzung eines Verwaltungsaktes nach § 96 Abs. 1 SGG setzt eine Identität des Streitgegenstands voraus. Daran fehlt es u. a. dann, wenn sich zwei Befreiungsbescheide von der Rentenversicherungspflicht bei einem Anwalt nach § 231 Abs. 4b SGB 6 einmal auf dessen Status als Rechtsanwalt und zum anderen auf dessen Status als Syndikusanwalt beziehen. Fehlt es an einer Identität des Regelungsgegenstands, so liegt auch keine Änderung oder Ersetzung i. S. von § 96 Abs. 1 SGG vor.

2. Bei der Frist des § 231 Abs. 4b S. 6 SGB 6 handelt es sich um eine Ausschlussfrist, bei deren Nichteinhaltung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG ausgeschlossen ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.06.2021; Aktenzeichen B 5 RE 1/21 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.06.2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der Beigeladenen zu 1 im Zeitraum vom 01.06.2013 bis 21.03.2016.

Die 1981 geborene Klägerin ist bei der Rechtsanwaltskammer L als Rechtsanwältin zugelassen und seit 09.04.2013 Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen (Beigeladene zu 2). Seit dem 01.06.2013 war sie als Rechtsanwältin im Ressort ECO Germany bei der A Service GmbH (Beigeladene zu 1) beschäftigt.

Im Mai 2013 beantragte sie bei der Beklagten für diese Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.04.2014 ab, der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30.03.2015). Hiergegen erhob die Klägerin am 27.04.2015 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24.08.2015 (S 4 R 620/15) zum Ruhen brachte. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens im März 2016 wies das SG die Klage später mit Urteil vom 11.07.2019 ab (S 4 R 334/19 WA).

Am 22.03.2016 beantragte die Klägerin bei der Rechtsanwaltskammer L die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin gem. §§ 46 Abs. 2, 46a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) bei der Beigeladenen zu 1. Mit einem am 29.03.2016 beim SG im ruhenden Verfahren eingegangenen Schriftsatz vom 23.03.2016 teilte die Klägerin dies mit. Aufgrund des bereits gestellten Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 SGB VI sei die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI fristgerecht beantragt; rein vorsorglich werde sowohl der Antrag auf Befreiung gem. § 6 SGB VI und der Antrag auf rückwirkende Befreiung gem. § 231 Abs. 4b SGB VI für die weiterhin ausgeübte Tätigkeit gestellt. Dieser Schriftsatz wurde vom SG an die Beklagte weitergeleitet, wo er am 04.04.2016 einging.

Am 02.03.2017 erteilte die Rechtsanwaltskammer L der Klägerin die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin gem. § 46 Abs. 2 BRAO bei der Beigeladenen zu 1. Die Beklagte befreite die Klägerin hierauf mit Bescheid vom 30.10.2017 seit dem 22.03.2016 von der Rentenversicherungspflicht.

Mit weiterem Bescheid vom 11.01.2018 lehnte die Beklagte eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die Zeit vom 01.06.2013 bis 21.03.2016 ab. Eine Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI könne für eine Beschäftigung ausgesprochen werden, sofern die folgenden Voraussetzungen vorlägen: Antragstellung bis zum 01.04.2016, Vorliegen einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 01.01.2016 geltenden Fassung, Pflichtmitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer und in einem berufsständischen Versorgungswerk während der zu befreienden Beschäftigung, keine vor dem 04.04.2014 ergangene Ablehnung der Befreiung für die zu befreiende Beschäftigung, die bestandskräftig geworden sei sowie die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk für Beschäftigungszeiten bis 31.03.2014. Die Klägerin habe den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum 01.04.2016 gestellt. Der beim SG gestellte Antrag sei auch nicht fristwahrend im Sinne des § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I erfolgt. Danach seien Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sozialgerichte seien indes keine zur Entgegennahme von Anträgen bezeichneten Stellen i. S. d. § 16 SGB I und könnten Anträge auf Sozialleistungen fristwahrend i.S.d. § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I nicht entgegennehmen.

Den hiergegen am 07.02.2018 erhobe...

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