Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsstreit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Wahltarife nach § 53 SGB 5. Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes
Orientierungssatz
1. Nach § 86b SGG sind ua, wie sich aus dem Verweis des § 86b Abs 2 S 3 SGG auf § 920 Abs 2 ZPO zwingend ergibt, Anspruch und Arrestgrund glaubhaft zu machen. Befreiungstatbestände enthält das SGG nicht. Auch § 12 Abs 2 UWG enthält für das sozialgerichtliche Verfahren keine Ausnahmereglung; er verweist ausschließlich auf die Vorschriften für das zivilprozessrechtliche Verfahren. Angesichts dieser gesetzlichen Vorgaben ist auch für eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs 2 UWG kein Raum.
2. Das pauschale Vorbringen einer Beeinflussung der Marktchancen ihrer dem Angebot einer gesetzlichen Krankenkasse entsprechenden Versicherungsleistungen eines privaten Krankenversicherungsunternehmens genügt den an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen nicht.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2008 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Der Streitwert wird auf 1.000.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (AS) wendet sich gegen das Angebot von sog. Wahltarifen durch die Antragsgegnerin (AG).
Die AG, ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bietet ihren Mitgliedern nach Maßgabe der §§ 26 - 29 ihrer durch das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen genehmigten Satzung Wahltarife an, die die Kostenerstattung für Leistungen im Ausland (§ 26), Kostenerstattung der Krankenhauszuzahlung (§ 27), Kostenerstattung bei Wahlleistung "Ein- oder Zwei-Bett-Zimmer" im Krankenhaus (§ 28) sowie Kostenerstattung des Zahnersatzes (§ 29) beinhalten.
Am 23.05.2007 beantragte die AS, ein privates Krankenversicherungsunternehmen, den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, der AG das Angebot dieser Wahltarife zu untersagen.
Das zunächst angerufene Landgericht (LG) Köln hat den Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) Köln verwiesen (Beschluss des LG Köln vom 27.06.2007, Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 20.07.2007); dieses hat den Rechtsstreit an das örtlich zuständige SG Dortmund verwiesen.
Die AS hat die Auffassung vertreten, dass die AG durch ihr Angebot der Wahltarife insbesondere gegen § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) in Verbindung mit (i.V.m.) § 194 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie § 30 Viertes Buch Sozialgesetzbuch verstoße. Die eingeführten Wahltarife könnten nicht auf § 53 Abs. 4 SGB V gestützt werden. Nach dieser Vorschrift könne lediglich die Höhe der Kostenerstattung variabel gestaltet werden; eine Ausweitung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sei hingegen nicht möglich. Die angebotenen Tarife seien aber nicht vom Leistungsauftrag der GKV umfasst. Das Angebot einer Kostenerstattung für Ein- oder Zweibettzimmer verstoße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V, diese Versorgung sei bei einer Krankenhausbehandlung nicht notwendig. Die Kostenerstattung für "Krankenhauszuzahlungen" verkehre die Regelung des § 39 Abs. 4 SGB V über die Zuzahlungen von Versicherten ins Gegenteil. Eine Kostenerstattung bei Zahnersatz widerspreche insbesondere der Festbetragsregelung des § 55 SGB V. Bei allen von der AG angebotenen Leistungen handele es sich um klassische Angebote der privaten Krankenversicherung (PKV). Derartige Zusatzversicherungen dürfe die GKV nach § 194 Abs. 1 a SGB V lediglich vermitteln, nicht aber selbst anbieten. Aus § 194 Abs. 1 a SGB ergebe sich auch, dass die GKV nicht mit der PKV in Konkurrenz treten dürften. Da die AG dem zuwider handele, ergebe sich ein Anordnungsanspruch nach § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG; es liege ein wirtschaftliches Handeln der AG vor, das den Regelungen des Wettbewerbsrecht unterfalle. Nach § 4 Nr. 11 UWG handele derjenige unlauter und rechtswidrig, der einer gesetzlichen Vorschrift zuwider handle, die auch bestimmt sei, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich zudem aus Art. 12, 14 und 3 Grundgesetz (GG). Es werde in Art. 12 und 14 GG eingegriffen, da die Angebote der AG nicht von § 53 Abs. 4 SGB V gedeckt und zudem nach § 194 Abs. 1a SGB V der PKV vorbehalten seien. Die AG verhalte sich auch nicht marktkonform, da die GKV ein Angebotsmonopol nutzen könnten, ohne in einen Leistungswettbewerb mit der PKV eintreten zu müssen. Ein Eingriff sei nicht gerechtfertigt, da ausreichende Angebote der PKV bestünden. Eine unzulässige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG liege vor, weil die GKV entsprechende Zusatzversicherungen abschließen könnten, die PKV-Unternehmen aber daran gehindert seien, ihre Versicherungsleistungen den Mitgliedern der GKV anzubieten. Es werde auch gegen Art. 86 und 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft...