Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des Vertragsarztrechts. Beteiligung Dritter. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsanspruch eines Pharmaunternehmens aus grundrechtlichem Abwehranspruch. Einstufung eines Präparats als Me-Too-Präparat
Orientierungssatz
1. Der Begriff des Vertragsarztrechts nach § 10 Abs 2 SGG erfasst alle Streitigkeiten aufgrund der Beziehung zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten. "Aufgrund" der Beziehung zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten kann eine Streitigkeit auch entstehen, wenn Dritte, die nicht an dieser Rechtsbeziehung beteiligt sind, behaupten, durch eine zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten getroffene Regelung in ihren Rechten unmittelbar oder mittelbar berührt zu sein.
2. Ein Anordnungsanspruch nach § 86b Abs 2 S 1 SGG kann sich aus einem grundrechtlichen Abwehranspruch aus Art 12 Abs 1, 14 Abs 1 GG ergeben. Ein Pharmaunternehmen kann geltend machen, durch die Qualifizierung eines Präparates durch eine KÄV als "Me-Too-Präparat" im Sinne einer Arzneimittelvereinbarung in seinen Chancen auf gleichberechtigten Zugang zum Markt der in der GKV eingesetzten Arzneimittel beeinträchtigt zu sein, sofern es für das Handeln der KÄV keine Rechtsgrundlage gibt bzw die Qualifizierung inhaltlich unzutreffend ist.
3. Die Einstufung des Präparats Pantozol als "Me-Too-Präparat" im Sinne einer Arzneimittelvereinbarung ist nicht zu beanstanden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.05.2006 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin (Ag.) die von der Antragstellerin (Ast.) vertriebenen Medikament Pantozol und Urion als sogenannte "Me-Too-Präparate" bezeichnen und auf einer im Internet zugänglichen Liste führen darf.
Die Ast. vertreibt seit ca. 1995 als Lizenznehmerin der Firma B Pharma AG das patentgeschützte Präparat Pantozol (Wirkstoff Pantoprazol), mit dem sie nach eigener Angabe mehr als die Hälfte ihres Gesamtumsatzes erzielt. Es handelt sich um einen Protonenpumpenhemmer (-inhibitor (PPH)), der zur Behandlung von Magengeschwüren und leichten Formen der Refluxkrankheit zugelassen ist. Pantoprazol entfaltet im Vergleich zu dem bereits etablierten Wirkstoff Omeprazol eine pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung. Ferner vertreibt die Ast. das noch bis 12.5.2006 patentgeschützt gewesene Präparat Urion (Wirkstoff Alfuzosin), ein Alpha 1 Rezeptorblocker, das zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie eingesetzt wird.
Präparate, deren Wirkstoffe denen bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich sind, werden seit ca. 2 Jahrzehnten als Analogpräparate (Schrittinnovationen, Me-Too-Präparate) bezeichnet. Nach der Klassifikation von G/L werden neue Arzneimittel nach dem angestrebten therapeutischen Effekt wie folgt unterschieden:
- Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz (Kategorie A),
- Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien (Kategorie B),
- Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten (Kategorie C) und
- Eingeschränkter therapeutischer Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien (Kategorie D).
Pantoprazol ist nach dieser Kategorisierung in dem Arzneiverordnungsreport seit 1995 (Herausgeber Schwabe/Paffrath) der Kategorie C zugeordnet. Die im Auftrag der Spitzenverbände vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) erstellte GKV-Arzneimittel Schnellinformation (GAmSi) legt der Darstellung der Anteile einzelner Marktsegmente am Gesamtmarkt für den Anteil der Me-Too-Präparate die Klassifikation in der im Arzneiverordnungsreport veröffentlichten Fassung zugrunde. Mit Beschluss vom 15.06.2004 hat der Gemeinsame Bundesausschuss Pantozol in eine Festbetragsgruppe der Stufe 2 mit anderen PPH eingeordnet (BAnz. Nr. 182 vom 25.09.2004). Für diese Festbetragsgruppe haben die Spitzenverbände der Krankenkassen mit Wirkung vom 01.01.2005 einen Festbetrag festgesetzt, der mit Beschluss vom 10.02.2006 zum 01.04.2006 neu niedriger festgesetzt worden ist.
Die Ag. hat mit den beigeladenen Krankenkassen gem. § 84 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Wirkung vom 01.01.2006 für das Kalenderjahr 2006 eine Vereinbarung für das Arzneimittel- und Verbandmittelausgabevolumen (Arzneimittelvereinbarung) getroffen (Rheinisches Ärzteblatt 1/2006, S. 82 ff.). Das Ausgabevolumen für Arznei- und Verbandmittel beträgt danach im Jahr 2006 2,68 Milliarden Euro. In § 4 Abs. 2 der Arzneimittelvereinbarung werden arztbezogene individuelle Wirtschaftlichkeits- und Versorgungsziele geregelt und zwar (Nr. 1) eine Erhöhung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils des Brutto-Generikaumsatzes am generikafähigen Markt um 5 % Punkte sowie (Nr. 2) eine Reduzierung des durch den jeweiligen Ver...