Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalts zur Arbeitsuche. Aufenthaltsrecht des ausländischen Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen. analoge Anwendung auf ausländische Elternteile minderjähriger lediger Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Aufenthaltsrecht gemäß § 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) iVm § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) gewährt dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge.
2. Art 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gebietet in einem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes keine analoge Anwendung dieser Regelung auf den Nachzug eines ausländischen Elternteils zu einem minderjährigen ledigen Unionsbürger mit der Folge, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst b SGB II zwingend unanwendbar wäre.
3. Der Schutzbereich des Art 6 Abs 1 und 2 GG wird dadurch nicht verletzt. Art 6 GG begründet keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt oder Sozialleistungen. Bei EU-Bürgern kann eine Lebensgemeinschaft der Eltern und Kinder regelmäßig nicht nur in Deutschland stattfinden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.04.2017 geändert und der Antrag des Antragstellers zu 2) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1, 3 und 4 für das erstinstanzliche Verfahrens dem Grunde nach zu 1/2, für das Beschwerdeverfahren in vollem Umfang. Der Antragsteller zu 2 trägt seine Kosten für beide Instanzen selbst. Insofern wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.04.2017 ebenfalls geändert.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die im September 1995 geborene Antragstellerin zu 1) ist Mutter der im Juni 2014 und Januar 2016 geborenen Antragsteller zu 3) und 4); der Antragsteller zu 2) ist der leibliche Vater der Kinder. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind nicht miteinander verheiratet. Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Auch weitere Familienangehörige der Antragsteller leben in Deutschland, unter anderem die Eltern der Antragstellerin zu 1), welche ebenfalls Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beziehen.
Die Antragstellerin zu 1) schloss am 10.10.2016 einen Arbeitsvertrag mit der Firma E Hausmeister Service, beginnend zum 01.11.2016 in einem Umfang von 10 Stunden wöchentlich zu einem Arbeitslohn von 400,00 EUR. Der Arbeitsvertrag wurde unbefristet geschlossen, Überstunden sollten mit 8,50 EUR pro Stunde vergütet werden. Die Antragstellerin zu 1) sollte als Putzfrau tätig werden.
Am 24.10.2016 stellten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Leistungsantrag.
Der Arbeitgeber der Antragstellerin kündigte dieser nach seinen Angaben und den Angaben der Antragstellerin zu 1) am 31.12.2016 fristlos das Arbeitsverhältnis wegen Auftragsmangels; nachträglich erfolgte eine schriftliche Kündigung. Einer Cousine der Antragstellerin zu 1), welche parallel beschäftigt worden war, wurde ebenfalls gekündigt. In der Arbeitsbescheinigung nach § 312 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vom 18.01.2017 ist eine betriebsbedingte Kündigung handschriftlich nachgetragen worden.
Auch der Vater der Antragstellerin zu 1) ist bei diesem Arbeitgeber seit dem 07.02.2017 in einem Umfang von 2 Stunden pro Tag zu einem Gehalt von 400,00 EUR als Hausmeister (Durchführung von Malerarbeiten) beschäftigt.
Am 28.03.2017 haben die Antragsteller vor dem Sozialgericht Köln einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Mit Beschluss vom 13.04.2017 hat das Sozialgericht Köln den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 28.03.2017 bis zum 31.05.2017 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des Regelbedarfs gemäß § 20 SGB II unter Berücksichtigung des Kindergeldes als anzurechnendes Einkommen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Gegen den dem Antragsgegner vorab per Fax zugesandten und am 20.04.2017 zugestellten Beschluss hat dieser am 13.04.2017 bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschwerde eingelegt.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin zu 1) sei lediglich zum Schein abgeschlossen worden. Es sei von vornherein darauf angelegt gewesen, bereits nach kurzer Zeit wieder beendet zu werden, und habe allein dem Zweck gedient, die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung...