Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenübernahme für ein nicht zugelassenes Fertigarzneimittel. Captagon. Fertigarzneimittel. Zulassung. Off-Label-Use. Narkolepsie. Lebensbedrohliche Erkrankung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Versicherter hat gegenüber seiner Krankenkasse keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Captagon zur Behandlung einer Narkolepsie.

 

Orientierungssatz

1. Fertigarzneimittel sind nicht von der Leistungspflicht der Krankenversicherung umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Captagon ist weder in Deutschland, noch EU-weit zugelassen. Eine Versorgung unter dem Gesichtspunkt des off label use ist bei fehlender Zulassung ausgeschlossen.

2. Eine Verordnungsfähigkeit von Captagon unter dem Gesichtspunkt des sog. Seltenheitsfalles besteht nicht, weil zur Behandlung einer Narkolepsie (Tagesmüdigkeit) für Ritalin und Vigil arzneimittelrechtliche Zulassungen vorhanden sind.

3. Eine Verordnungsfähigkeit unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 6. 12. 2005 besteht für Captagon zur Behandlung einer Narkolepsie nicht, weil es sich dabei zwar um eine lebenslang andauernde Erkrankung handelt, die aber nicht mit einer erhöhten Mortalität einhergeht.

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1, 3, § 31 Abs. 1 S. 1; AMG § 21 Abs. 1

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.06.2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatteten.

 

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Kostenübernahme für das Fertigarzneimittel Captagon (Wirkstoff: Fenetyllin) in Anspruch.

Die 1976 geborene Klägerin leidet unter Narkolepsie (Tagesmüdigkeit). Im Rahmen eines in der Zeit vom 16.08.2004 bis 23.08.2004 durchgeführten stationären Aufenthaltes in der I-Klinik T wurde sie u.a. auf das Arzneimittel Captagon eingestellt. Nach Beendigung des Aufenthaltes wurde die Klägerin bis Anfang Dezember 2004 im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung mit Captagon behandelt. Die zunächst bestehende Fiktivzulassung (§ 105 Arzneimittelgesetz (AMG)) für Captagon endete zum 30.06.2003, nachdem der Hersteller einen Antrag auf Nachzulassung zurückgenommen hatte. Captagon ist aktuell in Belgien zugelassen; eine europaweite Zulassung besteht nicht.

Am 03.12.2004 beantragte die Apotheke C (W) unter Vorlage einer vertragsärztlichen Arzneimittelverordnung (Frau L - Ärztin für Neurologie) für die Klägerin die weitere Kostenübernahme für die Versorgung mit dem Arzneimittel Captagon: Die Klägerin befinde sich in Dauerbehandlung; die Einstellung sei durch eine psychiatrische Klinik vorgenommen worden. Der behandelnde Arzt lehne eine Änderung der Einstellung ab. Das Präparat Captagon sei in Deutschland nicht mehr im Handel und ein Alternativpräparat mit identischem Wirkstoff gebe es nicht. Der Preis für 100 Tabletten als Import belaufe sich auf 68,21 EUR.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab und stützte sich im Wesentlichen auf die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung für Captagon (Bescheid vom 18.01.2005).

Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass ihrer Ansicht nach Captagon in Deutschland weiterhin verkehrs- und verschreibungsfähig sei. Denn bei Captagon handele es sich um eine Zubereitung aus dem Stoff Fenetyllin gemäß Abschnitt 1 § 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). In der Anlage III zum BtMG seien die verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel aufgelistet. Dort seien Mittel mit dem Wirkstoff Fenetyllin aufgenommen worden. Ein Anspruch auf Kostenübernahme ergebe sich ferner angesichts der in Belgien bestehenden Zulassung.

Zur weiteren Begründung legte die Klägerin den Behandlungsbericht der I-Klinik vom 13.10.2004 vor. Dort heißt es abschließend, dass sich in der Austestung vigilanzsteigernder Medikamente Fenetyllin (Captagon) hinsichtlich der optimalen vigilanzsteigernden Wirkung unter nur gering auftretenden Nebenwirkungen am effektivsten gezeigt habe.

In einem von der Klägerin übersandten Bericht vom 21.03.2005 legte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N (I-Klinik) u.a. dar, dass Captagon zur Behandlung der Tagesmüdigkeit sehr gut geeignet sei. Die Klägerin habe aufgrund ihrer Erkrankung bereits ihren Arbeitsplatz verloren und erlebe durch die mangelnde Wachheit eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität. Der Gesamtgesellschaft entstünden hierdurch sehr hohe Folgekosten, die durch einfache Verordnung und Kostenübernahme für Captagon reduziert werden könnten.

Den Widerspruch wies die Beklagte zurück. Dazu führte sie aus, dass Captagon weder EU-weit noch in Deutschland zugelassen sei. Eine Kostenübernahme komme auch nicht nach den von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln ("Off-Label-Use") in Betracht. Voraussetzung sei auch hier zumindest eine - wenn auch für andere Indikationen - bestehende Zulassung in Deutschland. Des Weiteren sei eine Kostenerstattung auch nicht ...

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