Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Prozesskostenhilfe bei Rechtserheblichkeit der Bedürftigkeit i. S. des Asylbewerberleistungsrechts

 

Orientierungssatz

1. Prozesskostenhilfe ist zu gewähren, wenn der Rechtsverfolgung bei der konkreten Fallgestaltung eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden kann.

2. Erscheint trotz gefestigter Rechtsprechung des Landessozialgerichts zum Wegfall der Bedürftigkeit im Bereich des AsylbLG auf der Grundlage eines einschlägigen Urteils des BSG auch eine andere Rechtsansicht als nicht ausgeschlossen, so ist bei Entscheidungserheblichkeit einer solchen Rechtsfrage und bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen PKH zu bewilligen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 07.09.2011 geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Münster ab dem 16.05.2011 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt P, N, beigeordnet. Als Kostenbeteiligung der Klägerin werden monatliche Raten in Höhe von 115,00 EUR, erstmals zu zahlen für den Monat Januar und fällig jeweils am Ersten des Folgemonats, festgesetzt. Die Zahlungen sind an die Oberjustizkasse zu leisten.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

In der Hauptsache begehrt die Klägerin die nachträgliche (weitere) Gewährung von Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG.

Die am 00.00.1988 im ehemaligen Jugoslawien geborene Klägerin lebt seit 1991 in der Bundesrepublik. Ein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt. Von der Ausländerbehörde wurden ihr zunächst aufenthaltsrechtliche Duldungen erteilt, und sie erhielt für mehr als vier Jahre Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Im August 2007 erhielt sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz. Zum 01.08.2007 nahm sie eine Beschäftigung bei dem N-verein an der F Gesamtschule e.V. auf, wo sie auch weiterhin arbeitet. In dem Arbeitsvertrag war ein Stundenlohn von 5,50 EUR vereinbart. Für den Monat August 2007 erhielt sie ein Nettoentgelt von 618,65 EUR. Im April 2011 belief sich der Nettoverdienst (einschließlich vermögenwirksamer Leistungen) auf 951,90 EUR. Sowohl vor als auch nach der Arbeitsaufnahme lebte die Klägerin in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Nach August 2007 erhielt sie keine Leistungen mehr von der Beklagten.

Auf einen ersten Überprüfungsantrag (§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialerwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)) vom 05.05.2009, mit dem die Klägerin rückwirkend höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen) beantragte, erteilte die Beklagte unter dem 08.06.2009 einen Bescheid, mit dem sie der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.8.2007 eine Nachzahlung in Höhe von 875,84 EUR gewährte. Dabei ging die Beklagte davon aus, dass der Klägerin in dem genannten Zeitraum Analogleistungen zugestanden hätten. Bei der Berechnung des Nachzahlungsanspruches machte sie jedoch unter Berücksichtigung des "Aktualitätsgrundsatzes" Abschläge für bestimmte Bedarfe, die nachträglich nicht mehr zu decken seien. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 18.03.2010 stellte die Klägerin erneut einen Überprüfungsantrag für die Zeit ab dem 01.01.2005 auf der Grundlage von § 44 SGB X. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.09.2010 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Klägerin bereits auf ihren ersten Überprüfungsantrag eine Nachzahlung gewährt worden sei. Ferner führte sie aus, die Klägerin lebe seit geraumer Zeit unabhängig von Leistungen nach dem AsylbLG bzw. nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R entschieden, dass bei einem temporären oder dauerhaften Wegfall der Bedürftigkeit kein Nachzahlungsanspruch mehr bestehe. Demzufolge übersteige die bisher geleistete Nachzahlung den tatsächlichen Anspruch bereits erheblich. Weitere Nachzahlungen seien daher abzulehnen.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie darauf, dass nach ihrer Auffassung der Aktualitätsgrundsatz im Bereich von Ansprüchen auf Nachzahlungen von in der Vergangenheit rechtswidrig versagter Analogleistungen keine Anwendung finden dürfe, weil ansonsten das Antragsbegehren weitgehend ins Leere liefe und das rechtswidrige Verwaltungshandeln in der Vergangenheit sanktionslos bliebe. Das BSG habe in der von der Beklagten zitierten Entscheidung den Aktualitätsgrundsatz im Rahmen des AsylbLG "gekippt". Auch das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.5.2010 - L 20 AY 19/10) vertrete die Auffassung, dass im Rahmen von Überprüfungsanträgen die vollen Analogleistungen nachzugewähren seien. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass die der Klägerin in der Vergangenheit gewährten Grundleistungen der Höhe nach evident unzureichend seien und das menschenwürdige Existenzminimum aus Art. 1 ...

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