Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten zu Lasten der Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Zur Verordnung von Medizinal-Cannabisblüten nach § 2 Abs. 1a SGB 5 muss bei dem Versicherten eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegen. Als Kodifizierung einer Notstandssituation sind nur schwerste anhaltende Schmerzzustände mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbar. Liegt ein derart extremes Schmerzsyndrom nicht vor, so ist eine Verordnung von Medizinal-Cannabisblüten ausgeschlossen.

2. Ein entsprechender Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 48 SGB 12 besteht nicht, weil der Umfang dieses Anspruchs auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist.

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 27.10.2017; Aktenzeichen 1 BvR 1746/16)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 11.02.2016 wird zurückgewiesen. Der Antrag der Antragstellerin, den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung zu vorläufigen Leistungen der Sozialhilfe zu verpflichten, wird abgelehnt.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat das Begehren der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, die Antragsgegnerin zur Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Bedrocan zu verpflichten, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Hauptsache (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Aufl., 2014, § 86b Rdn. 27 ff.). Ein Anordnungsgrund ist nur gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer gegenwärtigen Notlage, die eine unverzügliche Entscheidung als unabweisbar erscheinen lässt.

Die Antragstellerin hat hier das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Der Senat nimmt insoweit zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses des Sozialgerichts Detmold vom 11.02.2016. Im Hinblick auf den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren gegen die Beschwerdegegnerin allein weiterverfolgten Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten aus § 2 Abs. 1a SGB V weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, wonach eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegen muss, sind nicht erfüllt. In Betracht kommt hier - davon geht auch die Antragstellerin aus - allein, dass eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung gegeben ist. Entsprechend der gesetzlichen Konzeption der Vorschrift als Kodifizierung einer Notstandssituation können nur schwerste, anhaltende Schmerzzustände wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbar sein. Den von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen ist nur zu entnehmen, dass bei ihr ein schweres chronisches Schmerzsyndrom (Bescheinigung des Internisten N, C, vom 12.01.2015) bzw. ein starkes Schmerzsyndrom (Befundbericht der Internistin Dr. L, C, vom 20.06.2014), ein chronisches Schmerzsyndrom mit starken tieflumbalen Rückenschmerzen (Arztbrief des Dr. W, Chefarzt der Wirbelsäulenchirurgie, B-Klinik, Bad P, vom 20.04.2015) bzw. ein chronisches Schmerzsyndrom (Befundbericht der praktischen Ärztin Dr. S, N, vom 03.02.2016) vorliegt. Es werden auch keine Befunde mitgeteilt, die einen Hinweis auf das Vorliegen einer extremen Schmerzsituation der Antragstellerin bieten würden. Dr. W teilt lediglich mit, dass "Frau S reduziert mobilisiert ist, sie kann aufgrund der Schmerzen nur vornübergebeugt gehen ". Insgesamt vermitteln die Äußerungen der behandelnden Ärzte nicht den Eindruck, dass die Behandlung der Schmerzsymptomatik ganz wesentlich im Vordergrund der ärztlichen Bemühungen um die Antragstellerin gestanden hätte. Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass die Antragstellerin eine Behandlung durch ärztliche Schmerztherapeuten bislang offensichtlich nicht in Anspruch genommen hat. Obwohl der Antragstellerin bereits unter dem 12.11.2015 durch die Ort...

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