Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. nachträgliche Bewilligung nach Ende des Verfahrens trotz Vorliegen eines Kostenanerkenntnisses
Orientierungssatz
Ein rechtzeitig im Verfahren gestellter Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe kann auch dann noch bewilligt werden, wenn das Gericht erst nach Beendigung des Verfahrens über den Antrag entscheidet und mittlerweile ein Kostenanerkenntnis der Gegenseite vorliegt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 17.02.2015 geändert. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B, C, bewilligt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für ein erledigtes Klageverfahren.
Am 06.11.2013 hat der Kläger wegen einer Nichtbescheidung eines Widerspruchs Untätigkeitsklage erhoben und unter Beifügung einer Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe beantragt. Der im Widerspruchsverfahren angegriffene Bescheid sah eine Verpflichtung zur Rückerstattung von Sozialleistungen in Höhe von 821,22 EUR zuzüglich Zinsen vor. Am 05.11.2014 hat der Kläger das Verfahren für erledigt erklärt, weil zwischenzeitlich über seinen Widerspruch entschieden worden war. Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 27.11.2014 dem Grunde nach zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits bereit erklärt.
Mit Beschluss vom 17.02.2015 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, weil der Beklagte bereits ein Kostengrundanerkenntnis abgegeben habe.
Hiergegen hat der Kläger am 27.02.2015 Beschwerde eingelegt. Es bedürfe der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil der Beklagte sich eines Anspruchs gegen den Kläger berühme und regelmäßig eine Aufrechnung gegen den Kostenerstattungsanspruch erkläre. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei erforderlich, damit eine "Verstrickung" des Vergütungsanspruchs entstehe und eine Aufrechnung unzulässig sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.
Nach §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Maßgebend für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sind grundsätzlich die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (Peters/Sauter/Wolff, SGG, Stand April 2015, § 176 Rn. 4). Ein früherer Zeitpunkt ist maßgeblich, wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und eine Änderung zum Nachteil der Antragsteller eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 73a Rn. 7b). Prozesskostenhilfe kann folglich rückwirkend - auch nach Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache - bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung bereits zu einem vorhergehenden Zeitpunkt vorgelegen haben (BGH, Beschluss vom 30.09.1981 - IVb ZR 694/80).
Die Voraussetzungen zur Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe waren bereits im Januar 2014 erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgen können, weil die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat.
Der Umstand, dass über den rechtzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrag erst nach Beendigung des Verfahrens entschieden worden ist, und zu diesem Zeitpunkt ein Kostenanerkenntnis des Beklagten vorlag, steht der Bewilligung der Prozesskostenhilfe hier nicht entgegen (ebenso OLG Köln, Beschluss vom 14.02.1990 - 2 W 191/89; für ein Wahlrecht des Rechtsanwalts zwischen Kostenfestsetzung gegenüber dem Gegner und Geltendmachung des Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.05.2015 - L 15 SF 72/14 R; abweichend LSG Thüringen, Beschluss vom 13.02.2012- L 4 AS 1197/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.09.2012 - L 12 AS 1245/12 B).
Prozesskostenhilfe ist ein prozessermöglichendes und -begleitendes Mittel der Sozialhilfe (Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 73a Rn 1 mwN). Die Prozesskostenhilfe hat ihre Grundlage im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Danach darf der unbemittelten Partei die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zur bemittelten Partei nicht unverhältnismäßig erschwert werden.
Aus dem verfassungsrechtlich garantierten Zugang zum Recht resultiert der in §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 126 ZPO geregelte Schutzmechanismus, dessen Sicherstellung hier eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfordert. Der Anwalt hat nach dieser ...