Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Prozesskostenhilfe trotz zwischenzeitlichem Anerkenntnis des Prozessgegners
Orientierungssatz
1. Ist über einen rechtzeitig gestellten PKH-Antrag erst nach Beendigung des Verfahrens entschieden worden und lag zu diesem Zeitpunkt ein Kostenanerkenntnis des Beklagten vor, so steht dies der Bewilligung von PKH nicht entgegen.
2. Die Prozesskostenbewilligung schützt die mittellose Partei davor, dass der Prozessgegner mit beliebigen Gegenforderungen gegen den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts aufrechnen kann.
3. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 25. 8. 2015 kann PKH abgelehnt werden, wenn der Verfahrensgegner endgültig kostenerstattungspflichtig ist. Wurde der Prozessgegner zwar im Verfahren zur Kostentragung verpflichtet, ist diese Entscheidung aber im Rechtsmittelverfahren anfechtbar, so kann der Gegner Einwendungen aus seinem Verhältnis zum Verfahrensbeteiligten der Kostenerstattung entgegenhalten. Dies hat zur Folge, dass die Ablehnung von PKH entsprechend der Entscheidung des BVerfG zulässig ist, wenn der Prozessgegner von Einwendungen aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, z. B. dann, wenn er auf deren Erhebung wirksam verzichtet hat,
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.05.2016 geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin X, N, bewilligt.
Gründe
I.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.
Nach §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Maßgebend für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sind grundsätzlich die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung (Peters/Sauter/Wolff, SGG, Stand April 2015, § 176 Rn. 4). Ein früherer Zeitpunkt ist maßgeblich, wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und eine Änderung zum Nachteil der Antragsteller eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 73a Rn. 7b). Prozesskostenhilfe kann folglich rückwirkend - auch nach Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache - bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung bereits zu einem vorhergehenden Zeitpunkt vorgelegen haben (BGH, Beschluss vom 30.09.1981 - IVb ZR 694/80).
Die formalen Voraussetzungen zur Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe waren bereits mit Klageerhebung und dem Vorliegen der ausgefüllten Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen erfüllt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO setzt lediglich voraus, dass derjenige, der Prozesskostenhilfe begehrt, den Sachverhalt schildert und wenigstens im Kern deutlich macht, auf welche rechtliche Beanstandung er seine Klage stützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.10.1993 - 1 BvR 1686/93). Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Untätigkeitsklage erfolgen können, weil hinreichende Erfolgsaussichten bestanden.
Der Umstand, dass über den rechtzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrag erst nach Beendigung des Verfahrens entschieden worden ist, und zu diesem Zeitpunkt ein Kostenanerkenntnis des Beklagten (Schreiben vom 18.05.2016) vorlag, steht der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht entgegen (Beschluss des Senats vom 29.01.2016 - L 7 AS 393/15 B; ebenso OLG Köln, Beschluss vom 14.02.1990, 2 W 191/89; abweichend LSG Thüringen, Beschluss vom 13.02.2012, L 4 AS 1197/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.09.2012 - L 12 AS 1245/12 B).
Prozesskostenhilfe ist ein prozessermöglichendes und -begleitendes Mittel der Sozialhilfe (Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 73a Rn 1 mwN). Die Prozesskostenhilfe hat ihre Grundlage im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Danach darf der unbemittelten Partei die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zur bemittelten Partei nicht unverhältnismäßig erschwert werden.
Aus dem verfassungsrechtlich garantierten Zugang zum Recht resultiert der in §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 126 ZPO geregelte Schutzmechanismus, dessen Sicherstellung hier eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfordert. Der Anwalt hat nach dieser Vorschrift auf Grund der Beauftragung durch die Partei und der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe Vergütungsansprüche nicht nur gegen die Landeskasse (§ 45 Abs. 1 RVG), sondern auch gegen den Prozessgegner. Der Vergütungsanspruch gegen seinen Mandanten ...