Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Aufforderung des Grundsicherungsträgers, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen
Orientierungssatz
1. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ist nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen, wenn im Rahmen der Interessenabwägung dem privaten Aufschubinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gebührt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme sein.
2. Hat der Grundsicherungsberechtigte das 63. Lebensjahr vollendet, so ist er nach §§ 12a, 5 Abs. 3 SGB 2 zur Vermeidung bzw. Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit verpflichtet, einen Antrag auf Gewährung von Altersrente zu stellen. Diese Verpflichtung entfällt, wenn sich die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters im Einzelfall als unbillig erweist.
3. Die Aufforderung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente setzt eine Ermessensentscheidung voraus. Soweit sich Umstände für eine besondere Härte im Einzelfall nicht aufdrängen, ist es am Leistungsberechtigten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, damit diese vom Sozialleistungsträger bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden können.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.01.2016 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers zu 2) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.01.2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Der Senat geht davon aus, dass die Beschwerde sowohl von der Antragstellerin zu 1) als auch vom Antragsteller zu 2) eingelegt worden ist. Zwar ist der Beschwerdeschrift nur noch der Name der Antragstellerin zu 1) vorangestellt, während die Antragsschrift vom 30.11.2015 noch mit "Bedarfsgemeinschaft S u. H M" überschrieben ist. Gleichwohl wird aus der Beschwerdeschrift aber durch die wiederholte Verwendung des Plurals "wir" deutlich, dass der Rechtsbehelf beiden Antragstellern zuzurechnen ist.
Die Beschwerde des Antragstellers zu 2) ist unzulässig, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die angefochtenen Bescheide richten sich allein an die Antragstellerin zu 1). Nur sie ist vom Antragsgegner zur Rentenantragstellung aufgefordert worden. Der 1946 geborene Antragsteller zu 2) bezieht hingegen bereits seit 2011 eine Vollrente wegen Alters. Eine rechtliche Betroffenheit ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsteller eine Bedarfsgemeinschaft bilden, denn bei den Leistungsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) handelt es sich um Individualansprüche der Personen und nicht um einen Gesamtanspruch der Bedarfsgemeinschaft.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin zu 1) ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat es mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage mit dem Az. S 56 AS 5019/15 bei dem Sozialgericht Dortmund gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2015 anzuordnen. Entgegen der mit der Beschwerdeschrift wiederholten Auffassung der Antragsteller richtet sich der einstweilige Rechtsschutz im vorliegenden Verfahren nicht nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sondern nach Abs. 1 dieser Vorschrift. Gegenüber dem Anwendungsbereich des § 86b Abs. 1 ist die Regelung in Abs. 2 nachrangig, denn deren Anwendungsbereich ist nach dem Gesetzeswortlaut nur dann eröffnet, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt (siehe § 86b Abs. 2 S. 1 SGG).
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Weitere Kriterien für die Anwendung dieser gerichtlichen Anordnungsbefugnis sind gesetzlich nicht geregelt. Sie sind durch Auslegung zu gewinnen. Diese ergibt, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage Ergebnis einer Interessenabwägung ist. Die aufschiebende Wirkung eines solchen Rechtsbehelfs ist anzuordnen, wenn im Rahmen der Interessenabwägung dem privaten Aufschubinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gebührt. Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere die - nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu bewertende - Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ferner ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in Fällen des § 86 a Abs. 2 Nrn. 1 - 4 SGG das Entfallen der aufschiebenden Wirkung angeordnet und damit grundsätzlich ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes geregelt hat (vgl. Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW], Beschluss vom 01.06.2015, Az.: L 2 AS 730/15 B, bei juris Rn. 5). Davon abzuweichen besteht nur Anla...