Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Beschwerdeinstanz

 

Orientierungssatz

1. Die Beschwerde kann nach § 202 SGG i. V. m. § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Eine Beschränkung kommt nur dann in Betracht, wenn das Sozialgericht eine Frist für das Vorbringen setzt und bei Fristversäumnis dieses nicht zulässt.

2. Die Fristen nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO sind keine Ausschlussfristen. Ein endgültiger Rechtsverlust ist mit der Versäumnis der Fristen nicht verbunden. Die Bestimmung des § 124 Nr. 2 ZPO soll die Mitwirkung der Partei sicherstellen und stellt es dem Gericht anheim, für deren Ausbleiben bestimmte Rückschlüsse zu ziehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 07.09.2010 aufgehoben.

 

Gründe

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat der Klägerin mit Beschluss vom 13.09.2006 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N bewilligt.

Nachdem die Klägerin der Aufforderung des SG, Angaben zu einer möglichen Veränderung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu machen, nicht nachgekommen ist, hat das SG mit Beschluss vom 07.09.2010 den Bewilligungsbeschluss vom 13.09.2006 aufgehoben und die Klägerin verpflichtet, der Landeskasse 321,30 EUR zu erstatten.

Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig.

§ 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung (Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes - SGGArbGGÄndG -, BGBl I, 444), wonach die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ausgeschlossen ist, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, steht dem nicht entgegen. Die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe steht dem Wortlaut nach schon nicht der Ablehnung derselben gleich (vgl. Beschl. d. Senats v. 04.05.2009 - L 19 B 3/09 AL). Aus der Gesetzbegründung (BT-Drucks 16/7716 S. 22) lassen sich keine Hinweise entnehmen, dass diese beiden Tatbestände gleichgestellt und das Rechtsmittel gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung entfallen sollte (vgl. LSG Rheinland-Pfalz Beschl. v. 16.06.2008 - L 5 B 163/08 AS = NZS 2009, 64; LSG NRW Beschl. v. 02.09.2008 - L 7 B 228/08 AS).

Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Klägerin im Beschwerdeverfahren hinreichend belegt hat, dass ihre Bedürftigkeit im Sinne des § 115 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht entfallen ist bzw. sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert haben.

Nach § 124 Nr. 2 ZPO, der über § 73a Abs. 1 S. 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht abgegeben hat. Nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO hat sich die Partei auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Änderung der für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Die Klägerin ist dem Verlangen des SG bis zur aufhebenden Entscheidung nicht nachgekommen. Gleichwohl ist die Aufhebungsentscheidung des SG abzuändern. Die Klägerin konnte noch im Beschwerdeverfahren geltend machen, dass die Bewilligungsvoraussetzungen für die Prozesskostenhilfe weiterhin vorlagen. Ihr Vorbringen ist nicht auf das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren beschränkt geblieben.

Nach § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO, der gem. § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., Vor § 172 Rn 5), kann die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Eine Beschränkung diesbezüglich kommt nur unter den Voraussetzungen des § 571 Abs. 3 ZPO in Betracht, wenn das SG eine Frist für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln setzt und bei Fristversäumnis diese nicht zulässt. Dies ist hier nicht geschehen.

Die Fristen nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO sind keine Ausschlussfristen, sodass ein endgültiger Rechtsverlust mit dem Versäumnis der Fristen nicht verbunden ist (ganz herrschende Meinung, vgl. Saarländisches OLG Beschl. v. 28.10.2010 - 6 BF 101/10 -; LAG Rheinland-Pfalz Beschl. v. 09.09.2010 - 1 Ta 149/10 - beide unter www.juris.de; BAG Beschl. v. 18.11.2003 - 5 AZB 46/03 = BAGE 108, 329; Geimer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 124 Rn 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 124 Rn 39 jeweils mwN). Die Bestimmung des § 124 Nr. 2 ZPO dient auch nicht der Sanktionierung der Fristversäumnis, sondern soll die Mitwirkung der Partei sicherstellen und stellt es dem Gericht anheim, für deren Ausbleiben bestimmte Rückschlüsse zu ziehen (BAG a.a.O. S. 332). Unter diesen Umständen ist es nicht geboten, trotz Nachweises unveränderter Verhältnisse die begünstigende Prozesskostenhilfeentscheidung abzuändern. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob die Partei schuldhaft ihre Mitwirkungspflicht verletzt h...

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