Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Entscheidung über einen PKH-Antrag erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Es ist grundsätzlich nicht zulässig, das Hauptsacheverfahren abzuschließen, ohne zuvor über einen gestellten PKH-Antrag zu entscheiden. Eine Entscheidung über den PKH-Antrag erst nach Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG und bei angenommener Erledigung des Verfahrens verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.

2. Eine vom Gericht angenommene Beendigung des Verfahrens durch eine Klagerücknahmefiktion schließt eine rückwirkende Bewilligung von PKH nicht aus. Voraussetzung ist, dass der PKH-Antrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens i. S. der Bewilligung entscheidungsreif gewesen ist.

3. Das Gericht darf erst dann von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses zur Annahme einer Klagerücknahmefiktion ausgehen, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist (Anschluss BVerfG 17. 9. 2012, 1 BvR 2254/11).

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 28.07.2015 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage auf Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.

Die am 00.00.1977 geborene Klägerin lebt in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem am 00.00.1942 geborenen Ehemann und den drei am 00.00.2005, 00.00.2007 und 00.00.2012 geborenen Kindern in einer Wohnung. Die Bruttowarmmiete belief sich im Jahr 2013 auf 470,40 EUR monatlich und im Jahr 2014 auf 450,00 EUR. Das Warmwasser wird zentral erzeugt.

Die Klägerin bezieht Kindergeld i.H.v. 558,00 EUR. Sie erhielt Elterngeld von 300,00 EUR monatlich bis Anfang September 2013, ab September 2013 Betreuungsgeld von 100,00 EUR (anfänglich) für die Betreuung des am 00.00.2012 geborenen Kindes zuzüglich eines Kinderzuschlages von 420,00 EUR und Wohngeld von 289,00 EUR monatlich. Ihr Ehemann bezog neben einer gesetzlichen Rente von (netto) 921,06 EUR bzw. ab dem 01.07.2014 von (netto) 936,45 EUR monatlich und einer Betriebsrente von 39,71 EUR einen Nettolohn von 357,39 EUR aus abhängiger Beschäftigung. Er ist Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit einem ausgewiesenen GdB von 100 sowie den Merkzeichen "G" und "RF".

Den am 06.09.2013 gestellten Antrag auf Bewilligung ergänzender Leistungen nach dem SGB II lehnte der Beklagte mit Bescheiden vom 18.12.2013 und vom 02.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2014 ab. Das verfügbare Einkommen übersteige den Gesamtbedarf bei weitem.

Mit Bescheid vom 22.12.2014 lehnte der Beklagte den Folgeantrag der Klägerin vom 11.11.2014 ab.

Mit der Klage vom 24.04.2014, für die Prozesskostenhilfe beantragt worden ist, hat sich die Klägerin gegen die Anrechnung von Mieteinnahmen aus marokkanischem Immobilienbesitz ihres Ehemannes gewandt und den Ansatz eines Mehrbedarfs für Schwerbehinderte im Rahmen der fiktiven Bedarfsberechnung ihres Ehemannes begehrt.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass Mieteinnahmen nicht als Einkommen berücksichtigt worden seien und der Einkommensüberschuss aus dem Einkommen des Ehemannes der Klägerin (468,17 EUR nach der Anlage zum Bescheid vom 02.01.2014) auch dann zu einer erheblichen Überdeckung führen würde, wenn man den in Betracht kommenden Mehrbedarf wegen Behinderung nach § 23 Nr. 4 SGB II i.H.v. 58,65 EUR monatlich im Jahr 2013 bzw. 60,01 EUR monatlich im Jahr 2014 ansetzen würde.

Das Sozialgericht hat unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 S. 1 SGG zur Stellungnahme innerhalb von drei Monaten hierzu aufgefordert. Die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter haben nicht reagiert.

Mit Beschluss vom 28.07.2015 hat das Sozialgericht Dortmund den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht, weil die Klage als zurückgenommen gelte. Nach den Daten der Betreibensaufforderung sei das Verfahren durch fiktive Rücknahme der Klage am 15.07.2015 nach § 102 Abs. 2 S. 1, 2, Abs. 1 S. 2 SGG beendet.

Gegen den am 06.08.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 07.09.2015, einem Montag, eingelegte Beschwerde.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Es bestehen zwar Bedenken gegen die Verfahrensweise (1. bis 3.) Das Sozialgericht hat aber im Ergebnis zutreffend den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht i.S.v. §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ZPO abgelehnt (4.).

1. Ausgehend vom Standpunkt des Sozialgerichts, dass das Verfahren aufgrund der Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG beendet ist, verletzt die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 S. 1 SGG und bei angenommener Erledigung des Verfahrens den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (vgl. hierzu Beschluss des BSG vom 04.12.2007 - B 2 U 165/06 B). Im Hinblick auf die vom Bundesverf...

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