Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger als Elternteil eines Minderjährigen durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Regelmäßig ist ein Anordnungsgrund zur Bewilligung von Leistungen durch einstweiligen Rechtsschutz für einen abgelaufenen Zeitraum nicht gegeben. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage erforderlich sind.
2. Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB 2 sind durch einstweiligen Rechtsschutz frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage zu gewähren. Dies ist zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich.
3. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i. S. von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - ein Aufenthaltsrecht zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Diese Norm findet aufgrund des in Art. 18 AEUV statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung. Ein Aufenthaltsrecht des Kindes als Familienangehöriger i. S. von § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG besteht, wenn ein Elternteil eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt und somit Arbeitnehmer i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG ist. Damit greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 bei dem Elternteil nicht.
4. Leistungsansprüche nach dem SGB 2 sind bei Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft Individualansprüche eines jeden einzelnen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft. Ist der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung zu Leistungen des SGB 2 von einem Rechtsanwalt gestellt worden, so ist dieser auch nicht im Wege des Meistbegünstigungsgrundsatzes dahingehend auslegbar, dass neben dem Antragsteller auch dessen Lebensgefährtin bzw. deren Kinder einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt haben.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.09.2015 aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, N, beigeordnet.
Gründe
I.
Die am 00.00.1995 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie bildet mit dem am 00.00.1992 geborenen bulgarischen Staatsangehörigen Herrn H (H.) eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II. Sie hat mit Herrn H. zwei gemeinsame am 00.00.2011 geborene Kinder. Herr H. übt seit dem 16.03.2015 eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung aus, deren ursprünglich bis zum 30.09.2015 vorgesehene Befristung zwischenzeitlich bis zum 31.03.2016 verlängert worden ist. Nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lohnabrechnungen wurde im Juli 2015 für Juni 2015 ein Bruttolohn von 1.535,25 EUR (1.115,20 EUR netto), im August 2015 für Juli 2015 ein Bruttolohn von 1.516,68 EUR (1.106,65 EUR netto), im September 2015 für August 2015 ein Bruttolohn von 1.265,60 EUR (974,73 EUR netto), und im Oktober 2015 für September 2015 ein Bruttolohn von 1.351,88 EUR (1.015,08 EUR netto) abgerechnet. Für die beiden Kinder wird Kindergeld i.H.v. 386,00 EUR monatlich bezogen.
Auf den Antrag vom 06.07.2015 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 05.08.2015 Herrn H. und den beiden Kindern ergänzende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016 in vorläufiger Höhe von 140,00 EUR und sah die Antragstellerin als vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen an, weil sie sich alleine zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalte. Bei der Bedarfsermittlung legte der Antragsgegner einen Gesamtbedarf des Herrn H. und der Kinder von insgesamt 1.278,00 EUR, einschließlich 3/4 der Bruttowarmmiete von 450,00 EUR zugrunde. Auf diesen Bedarf rechnete er Erwerbseinkommen des Herrn H. von 770,00 EUR und das Kindergeld von 368,00 EUR an. Gegen diesen Bescheid legten die Antragstellerin und Herr H. Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2015 zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhoben die Antragstellerin und Herr H. Klage (S 12 AS 3596/15).
Am 01.09.2015 hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.07.2015 in gesetzlicher Höhe begehrt. Sie sei gewillt, zumindest eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen. Eine Vollzeittätigkeit sei wegen der Versorgung ihrer beiden minderjährigen Kinder nicht zumutbar. Es sei zu berücksichtigen, dass ihr Lebenspartner einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe.
Mit Beschluss vom 11.09.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin, ihren Kindern und Herrn H. als Bedarfsgemeinschaft ...