Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. kostenlose Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. ghanaischer Staatsangehöriger. Bezug von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. planwidrige gesetzliche Regelungslücke. analoge Anwendung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB 9

 

Orientierungssatz

Zum Anspruch eines ghanaischen Staatsangehörigen, der Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG bezieht, auf Ausstellung einer kostenlosen Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr in analoger Anwendung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB 9.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.10.2011; Aktenzeichen B 9 SB 7/10 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 11.1.2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids von 25 8. 2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 EUR zu erstatten.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger bezieht so genannte Analogleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und beansprucht die Ausstellung einer kostenlosen Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr.

Der am 00.00.1970 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er hält sich nach seinen Angaben seit Mitte 2003 in Deutschland auf. Nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens scheiterte seine Abschiebung zunächst an fehlenden Passersatzpapieren und seiner zeitweise ungeklärten Staatsangehörigkeit. Im Januar 2006 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt und war danach wegen einer atypisch verlaufenden schweren Form seiner koronaren Herzerkrankung dauerhaft reiseunfähig. Am 4.2.2009 erteilte der Kreis B dem bis dahin geduldeten Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und verlängerte sie zuletzt bis zum 31.1.2011.

Der Kläger bezieht zumindest seit dem 1.7.2009 Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechend den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zwölf - Sozialhilfe (SGB XII).

Seit Bescheiderteilung des Versorgungsamtes B vom 23.06.2009 sind beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 50 wegen einer Funktionsstörung des Herzens und das Merkzeichen G anerkannt.

Am 02.07.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übersendung des Beiblattes zum Schwerbehindertenausweis mit einer kostenlosen Wertmarke zur Inanspruchnahme der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr, weil er zurzeit Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII beziehe und ab Juli 2009 die unentgeltliche Beförderung in Anspruch nehmen wolle.

Mit Bescheid vom 20.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25 8. 2009 lehnte die Beklagte die beantragte Ausstellung des kostenfreien Beiblattes ab, weil der Kläger keine Leistungen nach dem SGB XII erhalte.

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, es sei aus Gründen der Gleichbehandlung, insbesondere unter Beachtung von Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht zu rechtfertigen, ihm nur deshalb keine kostenfreie Wertmarke zu gewähren, weil er Leistungen gemäß § 2 AsylbLG und damit nur entsprechend dem SGB XII erhalte. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Bezieher von Leistungen nach dem 8GB XII und der Bezieher von Analogleistungen über § 2 AsylbLG sei nicht zu erkennen.

Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, da der Kläger nur Leistungen über die Verweisung des § 2 AsylbLG entsprechend dem SGB XII beziehe, falle er nicht in den Anwendungsbereich des § 145 Abs.1 Satz 5 Nr.2 SGB IX.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger ein Beiblatt mit kostenloser Wertmarke auszustellen.

Der Kläger falle nicht unter den Wortlaut des § 145 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 SGB IX. Unter Zugrundelegung einer an Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung seien aber auch solche Fälle unter diese Vorschrift zu subsumieren, in denen ein Antragsteller Leistungen nach § 2 AsylbLG analog den Vorschriften des Dritten und Vierten Buchs des SGB XII beziehe.

Der Rechtsansicht des SG Duisburg (Beschluss vom25.01.2005- S 24 SB 304/04), der Gesetzgeber habe bei der gleichzeitigen Änderung des § 145 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 SGB IX und des AsylbLG es zum 01.01.2005 Leistungen nach dem AsylbLG bewusst nicht in den Katalog des § 145 Abs.1 Satz 5 Nr. 2 SGB IX aufgenommen, folge die Kammer nicht. Die Gesetzesänderungen seien zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten beschlossen und nur am selben Tag in Kraft getreten. Von einem einheitlichen gestalterischen Willen des Gesetzgebers könne nicht gesprochen werden. Vielmehr sei denkbar, dass der Gesetzgeber die Problematik übersehen habe.

§ 145 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 SGB IX solle nach Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte typische Gruppen einkommensschwacher Berechtigter von der Eigenbeteiligung freistellen. Der Kreis der von der Zuzahlungspflicht befr...

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