Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarfe für dezentrale Warmwassererzeugung und wegen eines unabweisbaren laufenden besonderen Bedarfs durch erhöhte Stromkosten. Conterganschädigung. Einkommensberücksichtigung. Rentenzahlung aus der Contergan-Stiftung. Entschädigungsfunktion. Vermögensberücksichtigung. selbst genutzte Eigentumswohnung. besondere Härte der Verwertung. überwiegende Finanzierung aus den Entschädigungsleistungen
Orientierungssatz
1. Zur Zuerkennung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs 7 SGB 2 für die dezentrale Warmwassererzeugung und eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB 2 wegen eines laufend erhöhten Strombedarfs aufgrund einer Conterganschädigung.
2. Bei der Contergan-Rente sowie der Sonderzahlung handelt es sich um Schmerzensgeld mit der Folge, dass die Leistungen nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts bestimmt oder geeignet sind (vgl FG Stuttgart vom 9.11.2016 - 12 K 2756/16).
3. Zahlungen aus einer Contergan-Rente bleiben gem § 18 Abs 1 ContStifG auch bei der Berechnung der SGB-II-Leistungen außer Betracht. Ihnen kommt im Wesentlichen eine Entschädigungsfunktion im Sinne des § 11a SGB 2 für die Betroffenen zu. Die Conterganrente ist infolgedessen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes weder bestimmt noch geeignet und muss auch zur Deckung existenzsichernder Mehrbedarfe nicht eingesetzt werden.
4. Die Verwertung einer, die angemessene Größe im Sinne des § 12 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB 2 unter Umständen überschreitenden, selbst genutzten Eigentumswohnung stellt jedenfalls dann eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt 2 SGB 2 dar, wenn der Erwerb bzw die Finanzierung der Eigentumswohnung überwiegend aus Mitteln der Entschädigungsleistungen nach dem ContStifG erfolgt ist.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.07.2017 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2012 bis 30.11.2013 als Zuschuss statt als Darlehen sowie darüber hinaus die Gewährung höherer Leistungen für diesen Zeitraum dem Grunde nach.
Die 1962 geborene Klägerin ist alleinstehend. Sie leidet an einer Conterganschädigung in Form einer schwerwiegenden Dysmelie (Fehlbildung beider Arme), die mit 80,32 Punkten (vgl. Anlage 2 zu den Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen Conterganschadensfällen (https://www.contergan-infoportal.de/fileadmin/user_upload/documents/Leistungen/Conterganrente/Medizinische%20Punktetabelle/Medizinische%20Punktetabelle.pdf) festgestellt ist, sowie einer degenerativen Wirbelsäulenerkrankung mit muskulären Problemen bei einer Körpergröße von etwa 1,50 m.
Wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen wurden ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen aG, H und RF zuerkannt. In der Sozialen Pflegeversicherung war sie bis zum 31.12.2016 der Pflegestufe II zugeordnet.
Zur Linderung der Beschwerden am Bewegungsapparat, erhält sie regelmäßig Physiotherapie und geht etwa einmal pro Woche Schwimmen. Ferner nimmt die Klägerin (nach ihren Angaben) etwa 20mal pro Monat zu Hause warme Wannenbäder, was ärztlich für erforderlich gehalten wird (vgl. die von der Klägerin vorgelegten Atteste der Allgemeinmedizinerin Dr. S vom 03.07.2008 sowie der Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. V vom 14.09.2020). Im hauswirtschaftlichen und pflegerischen Bereich erhält sie täglich Assistenzleistungen von Freunden und Bekannten, wobei die Assistenzkräfte teilweise auch bei ihr übernachten. Die Mahlzeiten für die einzelnen Tage werden von den Assistenzkräften für die Klägerin in aller Regel vorgekocht und dann in dem eigens dafür angeschafften Gefrierschrank gelagert, damit die Klägerin die Mahlzeiten zumeist nur noch aufwärmen muss, was sie trotz ihrer körperlichen Einschränkungen ohne fremde Hilfe bewerkstelligen kann.
Bis zum Jahr 2000 arbeitete die Klägerin seit mehreren Jahren halbtags versicherungspflichtig am Empfang der Landesvertretung T in C. Nach Umzug der Landesvertretung nach C1 fand sie eine Anschlussbeschäftigung beim Deutschen Entwicklungsdienst. Diese Tätigkeit gab sie 2005 nach Unstimmigkeiten am Arbeitsplatz auf. In der Folgezeit war sie nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig.
Im streitigen Zeitraum bezog die Klägerin laufende Rentenleistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen - bis 2005: „Hilfswerk für behinderte Kinder“ - (ContStifG), die sich bis August 2013 auf 1.127 € und ab September 2013 auf 5.760 € monatlich beliefen. Ferner floss ihr im August 2013 eine einmalige Rentennachzahlung i.H.v. 36.858 € zu. Hieraus ergaben sich Zinseinnahmen von einem Tagesgeldkonto bei der „P Bank GmbH“ (Kto.-Nr. 00), auf dem sie über Jahre ausschließlich Zahlungen nach dem C...