Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des grundsicherungsberechtigten Schülers auf Übernahme der Kosten für eine Klassenfahrt durch den Träger der Grundsicherung
Orientierungssatz
1. Nach § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB 2 werden bei Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen als Bedarfe für Bildung und Teilhabe anerkannt.
2. Die Vorschrift soll die gleichberechtigte Teilnahme aller Schüler an einer Klassenfahrt ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation der Eltern sicherstellen und Ausgrenzung verhindern. Sie dient der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft.
3. Findet die Fahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen statt und sieht das Schulrecht keine Kostenobergrenze vor, so hat der Leistungsträger die tatsächlichen Kosten ohne Beschränkung auf einen Höchstbetrag zu übernehmen (BSG Urteil vom 22. 11. 2011, B 4 AS 204/10 R).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2019 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Kostenübernahme für eine mehrtägige Schulfahrt.
Die am 00.00.2003 geborene Klägerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie ist Schülerin der J Schule in I. Die J Schule ist eine staatlich genehmigte Ersatzschule in freier Trägerschaft iSd § 100 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW und gehört zu den allgemeinbildenden Schulen. Die J Schule veranstaltet Fahrten, die als "Unterricht am anderen Ort" bezeichnet werden. In der Jahrgangsstufe 7 findet ein Forstpraktikum statt, in der Jahrgangsstufe 9 ein Landwirtschaftspraktikum, in der Jahrgangsklasse 10 eine Feldmessfahrt und in der Jahrgangsklasse 12 eine Kunstbetrachtungsfahrt. Nach Beschreibung der Schule sind diese Fahrten "gelebte Arbeitsprozesse, in denen Unterricht im Sinne der Jpädagogik an außerschulischen Orten stattfindet". Die Fahrten finden jeweils in der Organisationshoheit der Schule im Klassen- bzw. Kursverband statt. In Nordrhein-Westfalen endeten im Jahr 2018 die Sommerferien am 28. August. Die Herbstferien begannen am 15. Oktober.
Im Juli 2018 beantragte die Klägerin, gestützt auf eine Bescheinigung der J Schule, Leistungen für ihre Teilnahme an der Feldmessfahrt auf der Hallig Hooge vom 27.09.2018 bis zum 11.10.2018 iHv 490 EUR (ohne Taschengeld). Die Schule teilte mit, die Fahrt werde nicht durch die Schule, den Förderverein, Spenden oder Dritte bezuschusst. Die Veranstaltung sei von der Schulleitung im Rahmen der von der Schulkonferenz festgelegten Bedingungen genehmigt worden und entspreche den gültigen Richtlinien für Schulfahrten.
Mit Bescheid vom 23.08.2018 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für diese Fahrt ab. Es handele sich nicht um eine mehrtägige Klassenfahrt nach den schulrechtlichen Bestimmungen iSd § 28 Abs. 2 SGB II, sondern um ein lehrplanmäßiges Praktikum im Rahmen der Berufsgrundbildung. Möglich sei eine Übernahme von Fahrtkosten, hierfür sei aber vorrangig die Stadt I zuständig.
Die Klägerin nahm an der Feldmessfahrt teil und bestritt die Kosten hierfür aus ihrem Sparbuchvermögen.
Die Klägerin legte am 13.09.2018 Widerspruch ein. Bei der Feldmessfahrt handele es sich um eine Klassenfahrt und nicht um ein Praktikum. Der Beklagte habe bei der Schwester der Klägerin eine Kostenübernahme anerkannt. Die Klassenlehrerin der Klägerin teilte dem Beklagten mit, bei der Feldmessfahrt handele es sich um eine Klassenfahrt. Es gehe um ein Vermessungspraktikum und um angewandte Geometrie. Die Teilnahme sei verpflichtend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Unterricht an einem anderen Ort bzw. lehrplanmäßige Praktika seien keine Klassenfahrten iSd § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.11.2018 Klage bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Die Feldmessfahrt sei eine Klassenfahrt iSd schulrechtlichen Bestimmungen. Sie sei Bestandteil des Faches Mathematik und finde für alle Schüler der 10. Jahrgangsstufe statt. Die Durchführung der Fahrt sei von dem Gestaltungsfreiraum der Ersatzschulen umfasst. Diese finde nur dort ihre Grenzen, wo es um die Einhaltung der für die Ersatzschulen oder allgemein geltenden Rechtsnormen gehe. Soweit der Landesgesetzgeber für Ersatzschulen eine Ausnahme von der Geltung schulischer Vorschriften zulässt, müsse dies auch für das SGB II gelten. Andernfalls komme es zu einer Ausgrenzung von bedürftigen Kindern, was durch das Bildungs- und Teilhabepaket verhindert werden solle. Eine Begrenzung der Förderhöhe sei nach dem SGB II nicht vorgesehen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2018 zu verurteilen, ihr Leistungen für die Klassenf...