Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des hilfebedürftigen Schülers auf Übernahme der Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt durch den Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Nach § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB 2 werden bei Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen als Bedarfe für Bildung und Teilhabe anerkannt.
2. Eine Kunstbetrachtungsfahrt hält sich in NRW als Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen i. S. des § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB 2.
3. Die Vorschrift dient der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Sie soll die Ausgrenzung hilfebedürftiger Kinder verhindern.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2019 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren über die Kostenübernahme für eine mehrtägige Schulfahrt.
Die am 00.00.2001 geborene Klägerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie ist Schülerin der J Schule in I. Die J Schule ist eine staatlich genehmigte Ersatzschule in freier Trägerschaft iSd § 100 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW und gehört zu den allgemeinbildenden Schulen. Die J Schule veranstaltet Fahrten, die als "Unterricht am anderen Ort" bezeichnet werden. In der Jahrgangsstufe 7 findet ein Forstpraktikum statt, in der Jahrgangsstufe 9 ein Landwirtschaftspraktikum, in der Jahrgangsklasse 10 eine Feldmessfahrt und in der Jahrgangsklasse 12 eine Kunstbetrachtungsfahrt. Nach Beschreibung der Schule sind diese Fahrten "gelebte Arbeitsprozesse, in denen Unterricht im Sinne der J-pädagogik an außerschulischen Orten stattfindet". Die Fahrten finden jeweils in der Organisationshoheit der Schule im Klassen- bzw. Kursverband statt. In Nordrhein-Westfalen endeten im Jahr 2018 die Sommerferien am 28. August. Die Herbstferien begannen am 15. Oktober.
Im Juni 2018 beantragte die Klägerin, gestützt auf eine Bescheinigung der J Schule, Leistungen für ihre Teilnahme an der Kunstbetrachtungsfahrt nach Griechenland vom 31.08.2018 bis zum 22.09.2018 iHv 1.000 EUR (ohne Taschengeld). Die Schule teilte mit, die Fahrt werde nicht durch die Schule, den Förderverein, Spenden oder Dritte bezuschusst. Die Veranstaltung sei von der Schulleitung im Rahmen der von der Schulkonferenz festgelegten Bedingungen genehmigt worden und entspreche den gültigen Richtlinien für Schulfahrten.
Mit Bescheid vom 23.08.2018 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für diese Fahrt ab. Es handele sich nicht um eine mehrtägige Klassenfahrt nach den schulrechtlichen Bestimmungen iSd § 28 Abs. 2 SGB II. Nach den in Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Richtlinien für Schulfahrten (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 19.03.1997 - Wanderrichtlinie) betrage die Höchstdauer einer Schulfahrt zwei Wochen, bei Überschreiten müsse der darüber hinausgehende Teil der Schulfahrt in den Ferien stattfinden. Diese Voraussetzungen erfülle die Fahrt nach Griechenland nicht.
Die Klägerin nahm an der Kunstbetrachtungsfahrt teil und bestritt die Kosten hierfür aus ihrem Sparbuchvermögen.
Die Klägerin legte am 13.09.2018 Widerspruch ein. Bei der Kunstbetrachtungsfahrt handele es sich um eine Klassenfahrt. Bei Fahrten von Schulen in freier Trägerschaft sei die Dauer nicht maßgeblich. Die für Schulen in freier Trägerschaft maßgebenden schulrechtlichen Bestimmungen seien eingehalten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Fahrt entspräche nicht den schulrechtlichen Bestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen. Unterrichte an einem anderen Ort mit einer Dauer von drei Wochen außerhalb der Schulferien seien keine Klassenfahrten im Sinne der Wanderrichtlinie.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.11.2018 Klage bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Die Kunstbetrachtungsfahrt sei eine Klassenfahrt iSd schulrechtlichen Bestimmungen. Die Überschreitung der zweiwöchigen Dauer während der Schulzeit sei von dem Gestaltungsfreiraum der Ersatzschulen umfasst. Diese finde nur dort ihre Grenzen, wo es um den Einhalt der für die Ersatzschulen oder allgemein geltenden Rechtsnormen gehe. Soweit der Landesgesetzgeber für Ersatzschulen eine Ausnahme von der Geltung schulischer Vorschriften zulässt, müsse dies auch für das SGB II gelten. Andernfalls komme es zu einer Ausgrenzung von bedürftigen Kindern, was durch das Bildungs- und Teilhabepaket verhindert werden solle. Eine Begrenzung der Förderhöhe sei nach dem SGB II nicht vorgesehen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2018 zu verurteilen, ihr Leistungen für die Klassenfahrt iHv 1.000 EUR zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat se...