Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung nach Zufluss einer Abfindung. Hilfebedürftigkeit. Einkommen. Bedarfsgemeinschaft. Vertrauensschutz. Mitteilungspflicht. Grobe Fahrlässigkeit. Gesetzlicher Vertreter. Zurechung des Verschuldens des Ehegatten
Orientierungssatz
1. Ob sich die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen des SGB 2 wegen der Erzielung von Einkommen nach § 45 SGB 10 oder nach § 48 SGB 10 richtet, hängt davon ab, ob die Einnahme nach oder vor Erlass des Bewilligungsbescheides zugeflossen ist. Im ersten Fall ist § 48 SGB 10, im letzteren § 45 SGB 10 maßgeblich.
2. Ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt ist vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
3. Verschweigt der Ehegatte eines mit dem in Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen die ihm zugeflossene Abfindungszahlung gegenüber dem Grundsicherungsträger, so ist ein solches Verhalten nach § 278 BGB dem anderen Leistungsberechtigten zuzurechnen. Durch die Antragstellung zu Leistungen des SGB 2 wird eine rechtliche Sonderverbindung auf der Basis des SGB 2 zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungsträger begründet.
4. Erzielte Einnahmen sind bei der Bemessung der Höhe von SGB 2-Leistungen anteilig zu berücksichtigen und nach § 2 Abs. 4 S. 3 Alg2-V monatlich zu verteilen.
Normenkette
SGB II § 11; Alg-II-VO a.F. § 2 Abs. 4 S. 3; SGB I § 60 Abs. 1 Nr. 1; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2, § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2-3, § 50; SGB II § 40 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1, Abs. 2; SGB III § 330 Abs. 2-3; BGB §§ 278, 1357
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.02.2012 geändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt 1/9 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- bzw. Rücknahme- und Erstattungsbescheides für den Zeitraum 01.12.2008 bis 31.08.2009 in Höhe von insgesamt 4.138,48 Euro.
Am 22.08.2008 beantragte die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann erstmals Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für sich und den gemeinsamen Sohn M. Sie gaben in der Anlage EK unter Ziffer 3 an, dass der Ehemann der Klägerin keine Ansprüche gegen den letzten Arbeitgeber für noch ausstehende Lohn- und Gehaltszahlungen erhebe. Der Antrag und die Anlagen waren von der Klägerin und dem Ehemann unterschrieben.
Der Beklagte bewilligte der Bedarfsgemeinschaft im Anschluss mit Bescheid vom 11.09.2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26.11.2008 Leistungen nach dem SGB II. Im Dezember 2008 bewilligte der Beklagte einen Betrag in Höhe von 1.374,00 Euro (Anteil der Klägerin 521,00 Euro) und im Januar 2009 einen Betrag von 28,48 Euro (Anteil der Klägerin 10,80 Euro). Tatsächlich zahlte der Beklagte im Januar 2009 einen Betrag von 768,14 Euro (Anteil der Klägerin 469,17 Euro) aus.
Der Ehemann der Klägerin erhielt Ende Dezember 2008/Anfang Januar 2009 eine Einmalzahlung seines ehemaligen Arbeitgebers aus Abfindung und Auszahlung restlicher Urlaubstage in Höhe von 7.862,12 Euro. Hintergrund war ein arbeitsgerichtliches Verfahren, wonach sich der Arbeitgeber zur Zahlung eines Betrages von 10.000,69 Euro verpflichtete, wobei gepfändete Beträge von 1.934,31 Euro und 204,26 Euro nicht zu Auszahlung gelangten.
Am 29.12.2008 stellten die Klägerin und der Ehemann einen Fortzahlungsantrag. Auch hier gaben sie an, dass der Ehemann keine Ansprüche gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber erhebe. Auch dieser Antrag wurde von beiden unterschrieben.
Der Beklagte bewilligte daraufhin im Zeitraum 01.02.2009 bis 31.07.2009 mit Bescheid vom 19.01.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 768,14 Euro (Anteil der Klägerin in den Monaten Februar bis Juni 2009 469,17 Euro und im Juli 2009 476,26 Euro). In den Monaten März bis Mai 2009 zahlte der Beklagte jedoch nur einen Betrag von monatlich 740,14 Euro (Anteil der Klägerin 469,17) aus.
Am 23.06.2009 stellte die Klägerin einen erneuten Fortzahlungsantrag. Sie gab an, dass sich keine Änderungen in den Verhältnissen ergeben hätten.
Der Beklagte erhielt am 24.06.2009 Kenntnis von der Abfindungszahlung an den Ehemann der Klägerin durch eine Arbeitgeberauskunft. Der ehemalige Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin teilte mit, dass die Auszahlung von November 2008 (7.862,12 Euro) auf das Konto des Rechtsanwalts von Herrn C erfolgt sei. Mit Schreiben vom 07.07.2009 forderte der Beklagte die Klägerin auf, Nachweise über den Geldeingang zu erbringen. Die Klägerin gab an, dass der Ehemann zum 15.08.2009 aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen werde und sie die Unterlagen daher ni...