Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung eines Lendenwirbelsäulenschadens als Berufskrankheit nach Nr. 2108 BKV - Ermittlung des erforderlichen Kausalzusammenhangs
Orientierungssatz
1. Die Anerkennung eines Lendenwirbelsäulenschadens nach Nr. 2108 BKV setzt voraus, dass der Versicherte aufgrund von Verrichtungen bei einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat und hierdurch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule entstanden ist und noch besteht.
2. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht die Theorie der wesentlichen Bedingung.
3. Bei den für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs maßgeblichen Konsensempfehlungen handelt es sich nicht um einen verbindlich normativen Text. Sie dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes einordnen zu können.
4. Im Rahmen der Amtsermittlung ist durch das Gericht festzustellen, ob individuelle, dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15.03.2018 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im zweiten Rechtszug. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Berufungsverfahren nur noch die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können -.
Der im Jahre 1968 geborene Kläger war im Anschluss an seine Berufsausbildung zum Staatlich geprüften Landwirt (August 1985 bis Juli 1987) mit nachfolgendem Pflichtjahr sowie Fachschulausbildung (August 1989 bis Juli 1991) - unterbrochen durch den Grundwehrdienst - seit August 1991 bei der Firma M GmbH in W als Mahl- und Mischanlagenfahrer tätig. Ab 2014 war er arbeitsunfähig erkrankt, das Arbeitsverhältnis wurde durch betriebsbedingte Kündigung am 30.11.2016 beendet. Eigenen Angaben zufolge ist der Kläger seit Januar 2017 bei der Entsorgungsgesellschaft West-N als Aushilfskraft tätig.
Am 17.04.2015 zeigte der seinerzeitige Arbeitgeber unter Beifügung eines MDK-Gutachtens von Dr. Q vom 15.01.2015 (danach 2-malige Bandscheibenoperation im Segment L5/S1 im Jahre 2007 sowie am 26.08.2014) u.a. eine BK durch schweres Heben und Tragen sowie Arbeiten in Rumpfbeugehaltung bei der Beklagten an.
Auf der Grundlage einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition (02.07.2015), der zufolge der Kläger bis 2001 beim Be- und Entladen an 2 Tagen pro Woche Lastgewichte von 50 kg 80 mal pro Tag sowie an den übrigen Tagen beim Bedienen der Mischanlage Lastgewichte zwischen 20 und 50 kg und ca. 500 Hebevorgänge beim Schaufeln (5 kg) gehandhabt hat und ab 2002 die Tätigkeit als Transportfahrer auf einen Tag pro Woche mit Lastgewichten von je 25 kg sowie beim Bedienen der Mischanlage an den übrigen Tagen mit Lastgewichten zwischen 10 und 25 kg reduziert wurde, gelangte die Präventionsabteilung der Beklagten zu der Beurteilung, dass die Gesamtdosis für die Tätigkeit des Klägers von August 1991 bis Ende Juli 2014 mit 31,2 MNh (Mega-Newton-Stunden) zu bewerten sei. Eine besonders intensive Belastung bzw. Spitzenbelastungen im Sinne der Zusatzkriterien der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen lägen nicht vor.
Die Beklagte zog ferner Krankenhausberichte des D-Hospitals N1 (23.07.2007 und 15.09.2014), das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse, Reha-Entlassungsberichte von der DRV (19.09.2007 und 20.10.2014), einen Befund- und Behandlungsbericht des den Kläger behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin T (29.09.2015), radiologische Befunde sowie Arztberichte der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. H (19.09.2007) und Dr. C (13.01.2015) bei. Sodann veranlasste sie eine beratungsärztliche Stellungnahme der Unfallchirurgin Dr. I (08.12.2015), die nach Auswertung der bildgebenden Befunde zu der Beurteilung gelangte, beim Kläger bestehe ein vorauseilender ausgedehnter Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie Protrusionen in den Segmenten L3/L4 und L4/5 und ein ausgeprägter Morbus Scheuermann der oberen und mittleren LWS, jedoch keine black disc oder Begleitspondylose. Das Krankheitsbild sei der Konstellation B3 zuzuordnen.
Mit Bescheid vom 19.01.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 sowie Ansprüche auf Leistungen ab und führte zur Begründung aus, bei V...