Entscheidungsstichwort (Thema)
Behindertenrecht. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Arbeitsplatzgefährdung. kein Schutz für einen gesundheitsbelastenden Arbeitsplatz. Änderung des Aufgabenfelds. Versetzung in den Innendienst
Orientierungssatz
1. Die Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB 9 2018 scheidet aus, wenn sie den Effekt haben würde, dass der behinderte Mensch länger an einem Arbeitsplatz festgehalten wird, der ihm schon lange gesundheitlich schadet.
2. Der Senat kann offenlassen, ob eine eventuell drohende Änderung des Aufgabenfeldes in Form einer Versetzung vom Außen- in den Innendienst überhaupt einen Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes darstellt (vgl dazu LSG Schleswig vom 14.12.2012 - L 3 AL 36/11).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 01.06.2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX.
Bei dem am 00.00.1976 geborenen Kläger ist nach Durchführung eines sozialgerichtlichen Verfahrens (SG Aachen S 18 SB 14/20) und dortiger Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Frau Dr. X. vom 16.10.2020 durch Vergleich seit Juni 2019 ein GdB iHv 30 anerkannt. Dem liegen folgende Gesundheitsstörungen zugrunde:
- Erkrankung der Hirnanhangdrüse
- Psychische Störung
- Kopf-/Gesichtsschmerzen
- Ohrgeräusche.
Der Kläger ist gelernter Kommunikationselektroniker und bei der H. als "Accountmanager mobile solutions" größtenteils im Außendienst beschäftigt. Er war vom 06.11.2018 bis zum 14.12.2018 aufgrund eines Hörsturzes und vom 27.12.2018 bis zum 28.02.2020 aufgrund der Operation des Hypophysentumors arbeitsunfähig. Weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten sind bis zum 22.03.2022 nicht dokumentiert.
Der Kläger beantragte am 01.12.2020 die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen. Sein Arbeitsplatz sei behinderungsbedingt gefährdet und bzw. ohne die Gleichstellung erfahre er erhebliche Benachteiligungen. Nach den Operationen des Hirntumors lägen Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Angstzustände und ein (schon vorher vorhandener) Tinnitus vor, die extreme Auswirkungen auf seine Tätigkeit hätten. Er arbeite in Vollzeit als Accountmanager im Geschäftskunden-Vertrieb, er sei in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber nicht behinderten Menschen eingeschränkt, sein Arbeitsplatz sei aufgrund von Umstrukturierungen gefährdet. Über einen besonderen Kündigungsschutz verfügt der Kläger nicht.
Auf Anfrage durch die Beklagte teilte die Schwerbehindertenvertretung mit, bei dem Kläger bestünden Konzentrationsbeeinträchtigungen durch permanente Kopfschmerzen mit Auswirkungen auf den Tinnitus. Der Arbeitsplatz sei aufgrund einer eventuellen Umsetzung aus der Außendiensttätigkeit in den Innendienst gefährdet. Der Betriebsrat gab eine gleichlautende Stellungnahme ab.
Mit Bescheid vom 25.01.2021 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es seien keine Anhaltspunkte vorhanden, dass der Arbeitsplatz des Klägers behinderungsbedingt gefährdet sei und er zur Erhaltung des Arbeitsplatzes auf den Schutz der Gleichstellung angewiesen sei. Eine evtl. in der Zukunft eintretende Arbeitsplatzgefährdung sei für den Gleichstellungsanspruch nicht relevant. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe ursprünglich drei Kundenaccounts betreut (Aachen, Mönchengladbach, Niederrhein). Aufgrund seiner Erkrankungen habe er den damit verbundenen Belastungen nicht mehr standhalten können und um Entlastung gebeten. Seit dem 01.01.2021 betreue er nur noch zwei Accounts, erbringe also eine um 1/3 reduzierte Arbeitsleistung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für eine aktuelle Gefährdung des Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen seien keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 19.11.2021 bei dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, sein Arbeitsplatz sei für sein Erkrankungsbild grundsätzlich geeignet, aber er sei nicht wettbewerbsfähig gegenüber seinen nicht behinderten Kollegen. Dies werde durch die Reduzierung der Anzahl seiner Kunden-Accounts bestätigt. Als "low performer" müsse er mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen. Auch seine Mobilität sei eingeschränkt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2021 zu verurteilen, ihn einer schwerbehinderten Person gleichzustellen iSd § 2 Abs. 3 SGB IX.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat daran festgehalten, dass der Arbeitsplatz des Klägers nicht gefährdet sei. Zudem stelle sich die Frage, ob angesichts der vom Kläger beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen der Arbeitsplatz als geeignet anzusehen sei.
Das Sozialgericht hat eine Aufstellung der Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers eingeholt.
Mit Urteil vom 01.06.2022 hat das So...