Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das erstinstanzliche Gericht
Orientierungssatz
1. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.
2. Ein Verfahrensmangel i. S. dieser Vorschrift liegt u. a. dann vor, wenn das Sozialgericht den Sachverhalt nicht ausreichend aufklärt und damit seiner Amtsermittlungspflicht gemäß §§ 103 und 106 SGG nicht genügt.
3. Der in § 103 SGG normierte Untersuchungsgrundsatz ist verletzt, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen.
4. In einem Rechtstreit über die Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz muss das Gericht allen sich objektiv anbietenden Beweismöglichkeiten zum Tathergang nachgehen, um festzustellen, inwieweit unter § 1 OEG fallende konkrete Handlungen vorliegen.
5. Der Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung muss im Interesse der Rechtsuchenden gewissen Minimalforderungen genügen. Wird dem nicht Rechnung getragen, so ist eine Zurückverweisung nach § 159 SGG geboten.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.07.2010 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht Düsseldorf vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für Ereignisse, die die Klägerin als Kind im Zeitraum von 1953 bis 1973 und während ihrer zweiten Ehe in der Zeit von 1983 bis 1987 erlebt hat.
Die am 00.00 1952 geborene Klägerin beantragte im November 2007 die Gewährung von Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Sie leide unter Angstzuständen, Panikattacken, Albträumen und Depressionen. Als Ursache für diese Erkrankung gab die Klägerin Gewalterfahrungen in ihrer Kind- und Jugendzeit zwischen 1953 und 1973 an. Ebenso sei ihre zweite Ehe von 1983 bis 1987 gewaltbetont gewesen, sodass sie annimmt, dadurch traumatisiert worden zu sein.
In einem Rentenverfahren erstattete unter dem 30.01.2007 Dr. H ein psychiatrisches Fachgutachten. Dort wird der Klägerin eine "depressive Entwicklung mit Somatisierungsstörung bei dependenter Persönlichkeitsstörung" beschieden. Seit 2000 sei sie nicht mehr in der Lage, gewinnbringend am Erwerbsleben teilzunehmen. Bereits in einem Gutachten vom 11.11.2002 von Dr. I wurde bei der Klägerin ein "Borderline-Syndrom" diagnostiziert.
Mit Bescheid vom 17.04.2008 und Widerspruchsbescheid vom 08.05.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Versorgung nach dem OEG mit der Begründung ab, die von der Klägerin geschilderten Tathergänge seien nicht bewiesen. Die Klägerin habe ausdrücklich darum gebeten, ihre Mutter und auch ihren vormaligen Ehemann nicht zu den Geschehnissen zu befragen.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.06.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr früherer Ehemann habe schon seine erste Frau geschlagen. So sei auch ihre eheliche Beziehung gewaltbetont gewesen. Hierin läge der wesentliche Grund für ihre jetzigen psychiatrischen Erkrankungen.
Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass der wesentliche Teil der Ursache für die heute bei ihr bestehenden Erkrankungen der Klägerin weder die Gewaltbeziehung von 1983 bis 1987 seien, noch die als gewalttätig erlebte Kind- und Jugendzeit von 1953 bis 1973.
Das SG hat keine Zeugen gehört, sondern ausschließlich durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und der Sachverständigen dabei den zu überprüfenden Lebenssachverhalt auch nicht im Sinne von Anknüpfungstatsachen vorgegeben. Die gehörte psychiatrische Sachverständige, Frau Dr. Q hat bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt:
1. rezidivierende Depression mit somatischen Symptomen (ICD-10 F 33.1) 2. Angsterkrankung mit Panikanfällen, Verlustängsten und verstärktem Sicherungsbedürfnis (ICD-10 F 41.3) 3. kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und narzisstischen Anteilen (ICD-10 F 60.8)
Die Sachverständige hat gemeint, die durch die Diagnosen beschriebene Erkrankung habe sich bei der Klägerin weit in der Kindheit zurückliegend entwickelt. Die Depression und die Angststörung seien als reaktive Erkrankungen zu verstehen, die auf der Gesamtheit der biographischen Belastungsfaktoren in der Kindheit und Jugend basierten. Darüber hinaus könnten für die kombinierte Persönlichkeitsstörung genetische Faktoren eine Rolle spielen. Heute vorherrschend seien Verlustängste in Bezug auf den Sohn. Obwohl eine Reihe von Traumatisierungen im Leben der Klägerin stattgefunden hätten, läge eine posttraumatische Belastungsstörung heute sicher nicht vor.
Gewalterlebnisse könnten grundsätzlich eine Schädigung verursac...