Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Ablehnung der Zulassung eines Maßnahmeträgers durch Kooperationsvereinbarung. Jugendverband einer politischen Partei. Anbieter von Sommercamps für Kinder und Jugendliche. Neutralitätsgebot des Staates. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Ein genereller Ausschluss von Jugendverbänden bzw -organisationen der politischen Parteien von der Zulassung als geeigneter Anbieter für Teilhabeleistungen im Sinne des § 28 Abs 7 S 1 Nr 3 SGB 2 iVm § 29 Abs 2 S 2 SGB 2 durch Abschluss von Kooperationsvereinbarungen mit einem Grundsicherungsträger verletzt nicht Verfassungsrecht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.12.2021; Aktenzeichen B 14 AS 27/20 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.12.2018 wird zurückgewiesen. Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger durch Abschluss einer Kooperationsvereinbarung als Anbieter von Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe nach § 28 Abs. 7 SGB II zuzulassen.

Der Kläger ist die Jugendorganisation der M Partei Deutschlands (N). Er führt jährlich Sommercamps für Kinder auf einem Gelände in U/U1 durch. Die Beklagte schließt mit Anbietern von Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe iSd § 28 Abs. 7 SGB II Kooperationsvereinbarungen ab. Nach Abschluss einer Kooperationsvereinbarung erhält der Anbieter eine Anbieternummer und kann nach der Entgegennahme von Gutscheinen der Leistungsberechtigten mit der Beklagten abrechnen. Die Kooperationspartner werden auf den Gutscheinen, die den Leistungsberechtigten ausgehändigt werden, aufgeführt. Anbieter, mit denen die Beklagte keine Vereinbarung geschlossen hat, werden bei der Bewilligung von Bildungs- und Teilhabeleistungen faktisch nicht berücksichtigt (Ziffern 8.2 und 8.3 der "Richtlinien der Stadt N für die Gewährung von Leistungen zur Bildung und Teilhabe nach den § 28 und 29 SGB II" vom 25.11.2014).

Im Parteiprogramm der N wird zum Verhältnis zwischen der N und dem Kläger ausgeführt: "Mit ihrem Jugendverband S gewinnt die N die Masse der Jugend als praktische Avantgarde im Kampf um den echten Sozialismus. Die N organisiert mit ihrem Jugendverband S die Rebellion für die Zukunftsinteressen der Arbeiterklasse und der breiten Massen. Die L Jugendarbeit ist die Massentaktik des Parteiaufbaus, der organisationspolitische Schwerpunkt der Partei und Gradmesser für die Zukunftsorientierung der Parteiarbeit." Zum Kläger heißt es weiter: "Er verwirklicht eine Lebensschule der proletarischen Denkweise für die Masse der Jugend und der Kinder gleich welcher Nationalität. Dazu bedarf es der ideologisch-politischen Führung durch die N, der engen praktischen Zusammenarbeit und der Förderung der organisatorischen Selbstständigkeit des Jugendverbands. Die allseitige Parteiarbeit mit dem Aufbau von Kreisverbänden ist die wichtigste Bedingung für die Gewinnung der Masse der Jugend."

Der Kläger beantragte am 21.06.2016 mit einem hierfür von der Beklagten vorgefertigten Formular bei der Beklagten eine Zulassung als Anbieter von Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe. Mit Bescheid vom 21.11.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Zulassung einer politischen Partei bzw. ihrer Jugendorganisation entspreche nicht dem Neutralitätsgebot des Staates. Es sei der Verwaltung nicht gestattet, im Bereich der Bildungs- und Teilhabeförderung Steuergelder für parteipolitisch motivierte Veranstaltungen zu verwenden. Daher könnten Jugendorganisationen von politischen Parteien keine Zulassung als Leistungsanbieter erhalten. Am 14.12.2016 erhob der Kläger Widerspruch. Das Sommercamp sei keine parteipolitisch motivierte Veranstaltung, sondern geprägt von vielfältigen Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten und der Erziehung zu solidarischem Verhalten, Verantwortungsbewusstsein, Disziplin, dem Gedanken der Völkerverständigung sowie der Ächtung von Sexismus, Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum. Die Ablehnung verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 3 GG, weil sie eine Benachteiligung aus sachfremden weltanschaulichen Gründen darstelle. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es handele sich beim Kläger um einen parteipolitisch orientierten Jugendverband. Andere Jugendorganisationen, mit denen eine Kooperationsvereinbarung geschlossen wurde, seien nicht parteipolitisch motiviert. Sie verwies ergänzend auf § 24 der Grundsätze der N, in dem es heißt: "Der Jugendverband S arbeitet unter der ideologisch-politischen Führung und im Rahmen der Strategie der Partei. Er hat die organisatorische Selbständigkeit. Bei der Durchführung seiner Aufgaben entwickelt er eine eigene Taktik zur Gewinnung der Jugend unter Berücksichtigung der Taktik der Partei."

Am 30.03.2017 ha...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge