Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. angemessene Unterkunftskosten. schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers. gerichtliche Überprüfung. Möglichkeit zur Anmietung angemessenen Wohnraums. Außerachtlassen von Bestandsmieten
Orientierungssatz
1. Die volle gerichtliche Überprüfung des Angemessenheitswerts und des Verfahrens zu seiner Ermittlung schließt es nicht aus, dass bei dieser Kontrolle der Verwaltung deren in der Methodenvielfalt zum Ausdruck kommenden Eigenverantwortung Rechnung getragen und die gerichtliche Kontrolle als eine nachvollziehende Kontrolle ausgestaltet wird (vgl BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 11/18 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 100 und B 14 AS 24/18 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 101).
2. Diese nachvollziehende Kontrolle kann dadurch erfolgen, dass festgestellt wird, ob es den Leistungsempfängern im Ergebnis möglich ist, zu dem ermittelten Quadratmeterpreis Wohnraum anzumieten, weil ein ausreichender Wohnungsmarkt, der sich in der aktuellen Angebotssituation widerspiegelt, vorhanden ist.
3. Das hier gegebene Außerachtlassen von Bestandsmieten ist von der den Grundsicherungsträgern eingeräumten Methodenfreiheit gedeckt und trägt am ehesten dem Umstand Rechnung, dass auch die Leistungsbezieher im Rahmen einer Wohnungssuche auf die aktuellen Angebotspreise verwiesen sind (vgl LSG Essen vom 12.10.2017 - L 19 AS 502/16 und LSG Celle-Bremen vom 16.12.2015 - L 15 AS 159/14).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.09.2018 geändert und die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat 35 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der zu erbringenden Unterkunftsbedarfe streitig.
Der 1962 geborene Kläger bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 16.09.2013 beantragte er beim Beklagten eine Zusicherung zu einem Umzug in die Mietwohnung B. G. 00, H. Dem Antrag war ein Angebot der E GmbH vom 13.09.2013 über eine Erdgeschosswohnung unter der genannten Adresse zu einem monatlichen Mietzins von 362,61 EUR (250,61 EUR Grundmiete, 58 EUR Betriebskosten, 54 EUR Heizkosten) beigefügt. Mit Bescheid vom 25.09.2013 erteilte der Beklagte eine "Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft". Die Aufwendungen für die Unterkunft seien angemessen. Der Kläger schloss hiernach einen Mietvertrag mit der E über eine Wohnung B. G. 00, H zum 01.11.2013 ab. Die Miete wurde mit monatlich 363,50 EUR vereinbart (251,50 EUR Grundmiete, 58 EUR Betriebskosten, 54 EUR Heizkosten). Der Kläger teilte dem Beklagten unter dem 19.11.2013 mit, die ursprünglich angebotene Wohnung B. G. 00 sei wegen Umbauarbeiten nicht mehr "Arge-tauglich" gewesen. Man habe ihm daher eine baugleiche Wohnung B. G. 01 angeboten. Er bat den Beklagten, der Änderung zuzustimmen. Der Beklagte vermerkte am 22.11.2013 handschriftlich in der Akte eine Zustimmung und berücksichtigte rückwirkend zum 01.11.2013 Unterkunfts- und Heizbedarfe von monatlich 363,50 EUR.
Im Oktober 2014 erstelle das wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Forschungs- und Beratungsinstitut F AG (im Folgenden: "F") für die Stadt H ein Gutachten zu Angemessenheitskriterien für die Kosten der Unterkunft (Erstauswertung 2014). Hierin wurde der Angemessenheitswert für einen Alleinstehenden mit bruttokalt 290 EUR angegeben.
Ab dem 01.11.2016 betrug die Gesamtmiete 445,99 EUR (284,99 EUR Grundmiete, 88 EUR Betriebskosten, 73 EUR Heizkosten). Mit Schreiben vom 01.12.2016 und 09.02.2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, die Bruttokaltmiete bis spätestens zum 01.05.2017 auf 290 EUR abzusenken. Die tatsächliche Bruttokaltmiete sei ab dem 01.07.2012 für einen Alleinstehenden unangemessen. Sollten die Unterkunftskosten nicht bis zum 30.04.2017 entsprechend abgesenkt werden, würden ab dem 01.05.2017 nur noch die angemessenen Unterkunftskosten von bruttokalt 290 EUR zuzüglich angemessener Heizkosten berücksichtigt.
Mit Bescheid vom 24.02.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger von Mai 2017 bis März 2018 monatlich 363 EUR Unterkunfts- und Heizbedarfe. Dabei berücksichtigte er ab Mai 2017 nur noch eine Bruttokaltmiete von monatlich 290 EUR nebst den tatsächlichen Heizkosten von 73 EUR. Am 23.03.2017 legte der Kläger Widerspruch ein. Die tatsächlichen Unterkunftskosten seien angemessen. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den auf dem Konzept von "F" vom 21.10.2014 beruhenden Arbeitshinweisen der Stadt H sei für einen Einpersonenhaushalt eine Grundmiete von maximal 230 EUR angemessen. Hinzu kämen allgemeine Betriebskosten iHv 60 EUR, mithin bruttokalt maximal 290 EUR/Monat.
Am 08.06.2017 erstellte "F" eine aktualisierte "Herleitung von Mietobergrenzen für angemessene Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II und § 35 SGB XII in H nach einem schlüssigen Konzept (Aktualisierung...