Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Die Gewährung von Rente setzt nach § 115 Abs. 1 S. 1 SGB 6 eine wirksame Antragstellung voraus. Daran fehlt es, wenn ein gestellter Antrag rechtswirksam zurückgenommen worden ist. Dabei erfasst eine Rücknahmeerklärung mehrere vom Versicherten behauptete gestellte Rentenanträge, wenn diesen ein identischer Gegenstand zugrunde liegt, der sich nicht aufspalten lässt.

2. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt u. a. eine Pflichtverletzung der Behörde voraus. Diese muss kausal für den Nachteil sein, den der Antragsteller geltend macht. Die objektive Beweislast obliegt dem Antragsteller.

3. Eine Umkehr der Beweislast widerspricht dem Schutzziel des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Dieser dient dazu, den Versicherten, der aufgrund einer Pflichtverletzung der Behörde eine Disposition trifft, zu schützen. Nicht schutzwürdig ist aber ein Versicherter, der die entscheidende Bedingung für seinen sozialrechtlichen Nachteil selbst setzt.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.09.2013 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 30.011,12 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Vaters Altersrente für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis 31.01.2008 zu zahlen hat.

Die Klägerin ist die Tochter und Erbin des am 00.00.1928 in C (Ukraine) geborenen und 1995 in Israel eingewanderten F N (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte beantragte über seinen Bevollmächtigten am 07.11.2002 bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Die Beklagte forderte ihn mit Schreiben vom 22.10.2003 unter Beifügung eines Fragebogens auf, nähere Angaben zur behaupteten Ghetto-Beschäftigung zu machen. Am 09.12.2003 nahm der Bevollmächtigte des Versicherten den Rentenantrag zurück. Der Versicherte verstarb am 21.01.2008.

Am 29.12.2009 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin - zunächst im Namen des bereits verstorbenen Versicherten - bei der Beklagten "die Überprüfung des Ablehnungsbescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und die Anerkennung von Beitragszeiten sowie die Rentenzahlung nach dem ZRBG". Mit Schreiben vom 03.05.2010 teilte er mit, die Klägerin wolle das Verfahren als Rechtsnachfolgerin fortführen.

Mangels überprüfbarer Ablehnungsbescheide wertete die Beklagte den Antrag als neuen Rentenantrag und zog Unterlagen der Claims Conference bei. Dort war ein Antrag des Versicherten auf Entschädigung unter Hinweis darauf abgelehnt worden, dass sich der Versicherte nach den Ermittlungen während des Krieges nicht in einem Ghetto, sondern ab dem Jahr 1941 in der Sowjetunion aufgehalten habe. Die Beklagte wies auf diesen Ablehnungsgrund mit Schreiben vom 10.11.2010 hin. Den Rentenantrag lehnte sie mit Bescheid vom 20.05.2011 ab. Bei der Altersrente handele es sich um ein Recht, das nur der Versicherte selbst in Anspruch nehmen könne. Die Geltendmachung des Zahlungsanspruchs sei höchstpersönlicher Natur und könne auch nicht nachträglich durch die Erben oder Rechtsnachfolger erfolgen. Der Tod des Versicherten sei bereits am 21.01.2008 eingetreten, der Antrag jedoch erst am 29.12.2009 durch die Klägerin gestellt worden, so dass es zu keiner Rentengewährung komme. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch vom 28.06.2011, den die Klägerin nicht begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2013 zurück.

Die Klägerin hat am 13.03.2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Die Beklagte habe die Zahlung einer Rente abgelehnt, weil der Antrag vom 04.11.2002 am 08.12.2003 infolge des Ausschlusses von Ghettotätigkeiten in Transnistrien durch die Beklagte vom Versicherten zurückgezogen worden sei. Die Beklagte habe die Konsequenzen zu tragen, dass sich ihre damalige Auffassung zu den Ghettotätigkeiten als falsch erwiesen habe und dadurch Berechtigte von der rechtzeitigen Antragstellung abgehalten wurden oder hätten werden können. Sie müsse einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gewähren. Im Übrigen könne das Schreiben vom 08.12.2003 nicht als wirksame Antragsrücknahme des israelischen Antrags angesehen werden, weil der Bevollmächtigte des Versicherten die Antragsgleichstellung für israelische Anträge damals nicht gekannt habe. Nach dem Gesetz der Logik könne man nur etwas zurücknehmen, von dem man auch Kenntnis habe.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid vom 20.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2013 aufzuheben und ihr als Rechtsnachfolgerin Altersrente aus der Versicherung von F N vom 01.07.1997 bis zum 31.01.2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Si...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge