Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nothilfe. Erstattungsanspruch eines Krankenhausträgers. Anspruch des Hilfebedürftigen auf Hilfe bei Krankheit im Falle einer Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Leistungsfall. Leistungsausschluss für Ausländer ohne materielles Aufenthaltsrecht. Überbrückungsleistungen. Behandlung akuter Erkrankungen. mehrfache Erbringung von Leistungen über einen längeren Zeitraum
Orientierungssatz
1. Der Anspruch des Nothelfers besteht in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht.
2. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 S 5 Nr 3 SGB 12 umfassen auch Leistungen, um eine akute Erkrankung (hier: Herzinfarkt) zu erkennen bzw auszuschließen.
3. Bei einem Verdacht auf eine akute Erkrankung ist regelmäßig von einem Härtefall im Sinne von § 23 Abs 3 S 6 SGB 12 auszugehen, der es ermöglicht, die Überbrückungsleistungen auch mehrfach und für einen längeren Zeitraum zu erbringen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.08.2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für die Behandlung des Patienten W (W.) in ihrem Krankenhaus am 08.03.2019 (Freitag) iHv 166,47 EUR.
Die Klägerin betreibt das Universitätsklinikum C. Dort wurde der 1964 geborene polnische Staatsangehörige W. seit 2012 mehrfach behandelt. W. ist alkoholabhängig, obdachlos und hält sich jedenfalls seit 2012 immer wieder in C auf. Sozialleistungen bezog W. nicht. Er bestritt seinen Lebensunterhalt durch Betteln. Über weiteres Einkommen und Vermögen verfügte W. nicht. Bei verschiedenen Krankenhauseinlieferungen musste er vom Krankenhauspersonal mit neuer Kleidung und Waschutensilien versorgt werden. W. war weder in Deutschland noch in Polen krankenversichert. Einwohnermelderechtlich ist er nicht erfasst und es erfolgte auch keine Registrierung im Ausländerzentralregister.
Am 08.03.2019 wurde W. um 15.34 Uhr wegen des Verdachts auf einen Herzinfarkt, der eine sofortige Abklärung erforderte, in der Notaufnahme der Klägerin aufgenommen. Die Klägerin führte ein EKG und eine Laboruntersuchung durch, hierfür macht sie Kosten iHv 166,47 EUR geltend. Der Verdacht bestätigte sich nicht, so dass eine stationäre Aufnahme nicht erfolgte. W. hielt sich ausschließlich in der Notaufnahme auf und wurde bereits am folgenden Samstag wieder entlassen. Die Rechnung der Klägerin beruht auf dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) gem. § 87 Abs. 2 SGB V.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme mit Bescheid vom 21.03.2019 ab. Ein Nothelferanspruch nach § 25 SGB XII bestehe nicht, da W. nicht leistungsberechtigt nach dem SGB XII sei. Er verfüge nicht über ein materielles Aufenthaltsrecht und sei daher gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 SGB XII von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen. Die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII, wonach Ausländer Leistungen erhalten könnten, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhielten, sei nicht einschlägig, da die Frist erst mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde beginne und W. zu keiner Zeit einwohnermelderechtlich registriert worden sei. Eine Anspruch des W. auf Überbrückungsleistungen scheide aus, da W. nicht zu einer Rückkehr nach Polen bereit sei.
Die Klägerin legte am 16.04.2019 Widerspruch ein. Wenn W. keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII habe, weil er nicht über ein Aufenthaltsrecht verfüge, sei er leistungsberechtigt nach dem AsylbLG. Dann bestehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 6a AsylbLG.
Die Städteregion Aachen wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2019 zurück. Ein Anspruch nach § 25 SGB XII komme nur in Betracht, wenn der Patient selbst leistungsberechtigt nach dem SGB XII sei. Das sei bei W. nicht der Fall, da er nicht über ein materielles Aufenthaltsrecht verfüge und dementsprechend gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 SGB XII von den Leistungen ausgeschlossen sei. Über die Ansprüche nach dem AsylbLG werde in einem gesonderten Verwaltungsverfahren entschieden.
Die Klägerin hat am 14.08.2019 Klage gegen den Bescheid vom 21.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2019 erhoben. Bei der Aufnahme des W. habe es sich um einen Notfall gehandelt, ein akutes Infarktgeschehen habe ausgeschlossen werden müssen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme am Freitagnachmittag sei bei der Beklagten niemand zu erreichen gewesen.
Gegen die Ablehnung von Leistungen nach dem AsylbLG hatte die Klägerin bei dem Sozialgericht Aachen ebenfalls Klage erhoben (S 20 AY 48/19), die sie nach einem richterlichen Hinweis am 06.05.2020 zurückgenommen hat.
Die Klägerin hat b...