Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung des Rechtsstreites wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels
Orientierungssatz
1. Leidet das sozialgerichtliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel, so kann das Urteil aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen werden.
2. Das Sozialgericht handelt verfahrensfehlerhaft, wenn es Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen. Es muss alle Beweismittel ausschöpfen, die zur Verfügung stehen.
3. Das Gericht beachtet die Grenzen der freien Beweiswürdigung dann nicht, wenn es entscheidet, obwohl eine für eine abschließende Entscheidungsbildung genügende Tatsachengrundlage nicht vorliegt.
4. Das Gericht kann von Beweisergebnissen abweichen, wenn es sich auf eigene Sachkunde stützen kann; das gilt aber nur dann, wenn die eigene Sachkunde für die Beteiligten auch ersichtlich geworden ist.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 17.11.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurück verwiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des Berufungsverfahrens bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der im Februar 1959 geborene Kläger stammt aus der Türkei und wurde im November 1973 im Deutschen Steinkohlenbergbau angelegt. Zum 31.03.1990 kehrte er ab.
Ein erster Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom April 2004 blieb erfolglos, die Beklagte gewährte indes ab dem 01.05.2004 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau.
Dem jetzigen Verfahren liegt ein Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung von April 2005 zugrunde. Die Beklagte zog das im früheren Verfahren erstellte Gutachten des Internisten Dr. T, Sozialmedizinischer Dienst (SMD) S, bei, der den Kläger im Juni 2004 mit Einschränkungen noch für in der Lage gehalten hatte, vollschichtig und regelmäßig noch leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten zu verrichten (Gutachten vom 01.07.2004), und lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 09.05.2005). Im Widerspruchsverfahren urteilte Gutachterin Ärztin für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. S, SMD S, nach Untersuchung im Oktober 2005, der Kläger könne noch regelmäßig und vollschichtig leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten (Gutachten vom 24.10.2005). Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.02.2006).
Dagegen hat der Kläger noch im Februar 2006 Klage erhoben und behauptet, er könne seit April 2005 keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit mehr nachgehen.
Er hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 9.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 13.2.2006 zu verurteilen, bei ihm ab 12.4.2005 einen Zustand von voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung anzunehmen und ihm die Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, sowie hilfsweise ein Gutachten gemäß § 109 SGG von Dr. X aus S einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Das Sozialgericht (SG) hat die behandelnden Ärzte befragt, ob der Kläger noch mindestens 3 oder mindestens 6 Stunden (Std) täglich erwerbsfähig sein könne, ggf aufgrund welcher (wie gesicherten) Befunde nicht. Chirurg Dr. C aus N hat geantwortet, seines Erachtens könne der Kläger noch 3-6 Std täglich arbeiten (Bericht vom 20.6.2006). Internist Dr. M aus N hat geantwortet, der Kläger könne noch mindestens 6 Std täglich leicht bis mittelschwer arbeiten (Bericht vom 22.6.2006). Nervenarzt Dr. H aus N hat leichte körperliche Arbeiten für 6 Std täglich noch für möglich gehalten (Bericht vom 15.8.2006).
Mit Verfügung vom 15.8. hat das SG um Stellungnahme bis zum 14.9. gebeten, ob die Klage nunmehr zurück genommen werde, und die Streitsache am 15.9. "zur Sitzung" verfügt. Am 25.9. hat der Kläger mitgeteilt, die Klage werde (selbstverständlich) nicht zurück genommen, sondern weiter für begründet gehalten. Am 2.10. hat das SG ihn auf § 109 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und Termin für den 17.11.2006 anberaumt. Nach Zustellung der Ladung am 6.10. hat der Kläger am 25.10. schriftsätzlich einen (vollständigen) Antrag nach § 109 SGG gestellt und Dr. X aus D als Arzt seines Vertrauens benannt.
Das SG hat die Klage abgewiesen, weil nicht belegt sei, dass der Kläger nicht mehr im Stande ist, mindestens 6 Std täglich erwerbstätig zu sein. Da die Angaben der behandelnden Ärzte schon die Behauptung des Klägers nicht stützten, bestehe keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen. Den Hilfsantrag habe der Kläger nach freier Überzeugung des SG aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt (Urteil vom 17.11.2006).
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens weiter verfolgt. Dr. ...