Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenrente. Absenkung des Zugangsfaktors bei Tod des Versicherten vor dem 60. Lebensjahr des Versicherten
Orientierungssatz
Die bei der Berechnung von Erwerbsminderungsrenten angewandte Absenkung des Zugangsfaktors auch bei einem Rentenbeginn vor dem 60. Lebensjahr des Versicherten ist vom Gesetz gedeckt. Entsprechend auch bei Hinterbliebenenrentnern bei Tod des Versicherten vor Vollendung des 60. Lebensjahres (Anschluss an BSG vom 14.8.2008 - B 5 R 32/07 R = BSGE 101, 193 = SozR 42600 § 77 Nr 5, B 5 R 88/07 R, B 5 R 98/07 R = SozR 42600 § 77 Nr 6 und B 5 R 140/07 R).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.10.2007 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die der Klägerin bewilligte Hinterbliebenenrente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor von 1,0 zu berechnen ist.
Die Klägerin ist die Witwe des am 00.00.1947 geborenen und am 00.00.2005 verstorbenen Versicherten. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 27.12.2005 große Witwenrente ab 06.11.2005. Dabei legte sie einen verminderten Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde und berücksichtigte eine Zurechnungszeit vom 01.12.2005 bis 18.11.2007. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin, der sich gegen die Minderung des Zugangsfaktors richtete, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2006 zurück: Nach § 77 Abs. 2 S. 1 Nr 4 SGB VI vermindere sich der Zugangsfaktor bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat, der sich vom Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten ergibt, um 0,003. Nach Abs. 2 S. 2 der genannten Vorschrift werde für die Bestimmung des maßgeblichen Zugangsfaktors nicht auf den Tod, sondern auf die Vollendung des 60. Lebensjahres abgestellt. Sterbe der Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so betrage der Zugangsfaktor für die Hinterbliebenenrente automatisch 0,892.
Zur Begründung ihrer am 17.08.2006 beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, die Minderung des Rentenzugangsfaktors sei mit der Vorschrift des § 77 SGB VI nicht zu vereinbaren. Sie hat sich vor allem auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R - bezogen. Außerdem sei der Versicherte anerkannter Schwerbehinderter gewesen und habe als vor dem in § 236 a SGB VI genannten Stichtag Geborener Vertrauensschutz besessen, so dass er bei Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente ohne Kürzung des Zugangsfaktors hätte beziehen können. Dann müsse aber auch ihre Hinterbliebenenrente ebenfalls ohne Verringerung des Zugangsfaktors gewährt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006 zu verurteilen, ihr unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab dem 6.11.2005 eine höhere Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass sich das von der Klägerin angeführte Urteil des BSG nur auf Erwerbsminderungsrenten beziehe und die dort getroffenen Feststellungen nicht auf Hinterbliebenenrenten zu übertragen seien.
Mit Urteil vom 16.10.2007 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es hat sich der Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 und dem dieser folgenden (nicht rechtskräftig gewordenen) Urteil des LSG NRW vom 25.4.2008 - L 8 R 185/06 angeschlossen. Die Grundsätze jenes Urteils seien entgegen der Auffassung der Beklagten auf die Hinterbliebenenrente anwendbar. Danach sei die Rente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor 1.0 zu berechnen gewesen.
Gegen das ihr am 05.11.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.12.2007 Berufung eingelegt. Sie sieht sich durch die mittlerweile ergangenen Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 (insbesondere in der Sache B 5 R 98/07 R ) bestätigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.10.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Unrecht aufgehoben, denn diese sind nicht rechtswidrig. Die Beklagte gewährt der Klägerin Hinterbliebenrente in zutreffender Höhe. Insbesondere hat sie den Zugangsfaktor der Rente der Klägerin richtig berechnet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines ungekürzten Zugangsfaktors...